Hinkley Point C

Der Kampf Österreichs gegen Bau und Betrieb von Atomkraftwerken

Handlungsempfehlungen

  1. Österreich soll seine Anti-Atompolitik so konsequent wie bisher fortsetzen und diejenigen EU-Mitgliedstaaten, in denen Atomkraftwerke (AKW) betrieben werden, von der Sinnhaftigkeit eines schrittweisen Ausstiegs aus der Atomenergie zu überzeugen versuchen – das heißt, vor allem von der Errichtung neuer AKW Abstand zu nehmen.
  2. Neben diplomatischen Mitteln können und sollen dabei auch alle zulässigen Klagearten ausgeschöpft werden, damit unabhängige Gerichte ohne politische Einflussnahme über die Zulässigkeit der weiteren Nutzung der Atomenergie entscheiden können.
  3. Da es sich beim Betrieb eines AKW um eine „ultra hazardous activity“, samt Gefährdungshaftung, handelt, müsste vor allem bei grenznahen AKW der Nachbarstaat vom Betreiberstaat lückenlos und unverzüglich über alle – noch so kleinen – Störfälle unterrichtet werden, um entsprechende Vorkehrungen zur Gefahrenabwehr treffen zu können.

Zusammenfassung

Mit seiner Nichtigkeitsklage gegen den Genehmigungsbeschluss der Kommission zugunsten staatlicher Beihilfen für das britische AKW Hinkley Point C setzte Österreich einen mutigen Schritt, der ihm sofort heftige Schelte und reziproke Klagsdrohungen seitens des Vereinigten Königreichs einbrachte. Das sonst außenpolitisch eher zurückhaltende Österreich exponiert sich in dieser Frage vor allem deswegen, um damit einer in der Bevölkerung tief verwurzelten Ablehnung der Kernkraft entsprechend Ausdruck zu verleihen.

Die Argumente der Kommission, mit denen sie die Vereinbarkeit der britischen Investitionsbeihilfe für das AKW mit dem Binnenmarkt als gegeben ansieht, überzeugen nicht völlig. Im Grunde handelt es sich dabei nicht um eine Investitionsbeihilfe, sondern um eine nicht genehmigungsfähige Betriebsbeihilfe, die am Elektrizitätsbinnenmarkt kein Marktversagen behebt, sondern nur Wettbewerbsverzerrungen, vor allem für Anbieter erneuerbarer Energien, verursacht. Allein schon die Einbringung der Nichtigkeitsklage durch Österreich hat aber eine Reihe potentieller Investoren zum Rückzug veranlasst.

Obwohl Österreich mit einigen Nachbarstaaten, die AKW betreiben, einschlägige vertragliche Übereinkünfte getroffen hat, zeigt das Verhalten der Tschechei in Bezug auf das „Melker Protokoll“ (2000) exemplarisch auf, wie schwierig es ist, dabei bindende Zusagen, zB über die verpflichtende Meldung von Störfällen, zu erhalten.

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Hinkley Point C – Der Kampf Österreichs gegen Bau und Betrieb von Atomkraftwerken

Einführung

Auch nach den verheerenden Super-GAUs in den AKW von Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) gibt es nach wie vor Staaten, die die Erzeugung elektrischer Energie durch AKW für eine der sichersten und vor allem „saubersten“ Technologien halten, die die Umwelt am wenigsten belasten. Dementsprechend existieren weltweit 31 Staaten, in denen insgesamt 438 AKW betrieben werden (Stand: Juli 2015)[1], davon alleine 21 Staaten in Europa.[2] In diesen werden 93 AKW betrieben, die insgesamt über 196 Atomreaktoren verfügen. In der EU haben 16 der 28 Mitgliedstaaten AKW in Betrieb, unter denen Frankreich bei weitem führend ist, da in diesem Land nicht weniger als 58 AKW im Einsatz stehen, die über 73% der gesamten nationalen Stromproduktion liefern.[3] Folgerichtig ist auch deren staatliche Betreibergesellschaft „Electricité de France“ (EDF) kommerzieller und technologischer Marktführer in dieser Branche und rüstet eine Reihe anderer AKW aus, wie zB auch das gegenständliche britische AKW Hinkley Point C.

Hinkley Point C wäre neben einem stillgelegten und einem noch in Betrieb befindlichen Kraftwerk das dritte AKW an diesem Standort, das 2023 an das Netz gehen und eine Laufzeit von 60 Jahren haben soll. Die beiden geplanten Atommeiler sollen insgesamt 3,3 Gigawatt Strom erzeugen, womit 7% des britischen Strombedarfs gedeckt werden würden. Hinkley Point C wäre das erste neue Atomkraftwerk in Großbritannien seit der Abschaltung von Sizewell B im Jahre 1995, vor allem aber der erste Neubau eines AKW seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima.

Ganz allgemein beruft sich das Vereinigte Königreich in seiner Begründung für die Notwendigkeit der Errichtung des AKW Hinkley Point C auf die jedem Mitgliedstaat zustehende Wahlfreiheit, seinen „Energiemix“ frei auswählen zu dürfen.

Ganz allgemein beruft sich das Vereinigte Königreich in seiner Begründung für die Notwendigkeit der Errichtung des AKW Hinkley Point C auf die jedem Mitgliedstaat zustehende Wahlfreiheit, seinen „Energiemix“ – dh die Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen sowie die allgemeine Struktur der Energieversorgung – frei auswählen zu dürfen.[4] Dementsprechend beauftragte es auch den französischen Reaktorbauer Areva[5] mit der Planung der für Hinkley Point C vorgesehenen zwei neuen Atomreaktoren der „dritten Generation“ („European pressurized reactor“, EPR), obwohl der Reaktor-Prototyp dieses Unternehmens, der im französischen Flamanville 2012 in Betrieb gegangen ist, bei der Kontrolle durch die französische Atomaufsicht ASN im April 2015 Sicherheitsmängel aufwies.

Auf der anderen Seite nimmt der Druck der organisierten Zivilgesellschaft auf die Staaten, in denen AKW betrieben werden, immer mehr zu, aus der Atomenergie auszusteigen. So hat sich zB die Bundesrepublik unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Fukushima entschlossen, sukzessive aus der Atomenergie auszusteigen, was ihr aber eine Klage des schwedischen Energieunternehmens Vattenfall[6] eingebracht hat, das sich durch diesen zwar gesetzlich angeordneten, aber „politisch motivierten“, Ausstieg aus der Atomenergie hinsichtlich seiner in der Bundesrepublik betriebenen Kernkraftwerke als „indirekt verstaatlicht“ ansieht.[7]

Mitten in diese aufgeladene Atmosphäre platzt nun die Beeinspruchung Österreichs der Gewährung umfassender staatlicher Beihilfen für das britische Atomkraftwerk Hinkley Point C durch die Europäische Kommission, der sich unter allen anderen Mitgliedstaaten der EU aber lediglich Luxemburg als Nebenintervenient anschließen will. Was veranlasst aber  Österreich dazu, mit dem Vereinigten Königreich auf Konfrontationskurs zu gehen und von diesem unter Umständen mit Retorsionen bedroht zu werden?

Bevor auf diese Fragen konkret eingegangen werden kann, muss zunächst der komplexe Verfahrensablauf der europarechtlichen Genehmigung der Investitionsbeihilfe für das AKW Hinkley Point C samt Pro- und Kontra-Argumenten dargestellt werden.

Das beihilfenrechtliche Prüfverfahren der EU

Zur Finanzierung von Bau und Betrieb des geplanten AKW Hinkley Point C meldete das Vereinigte Königreich am 22. Oktober 2013 ein Paket von Fördermaßnahmen bei der Kommission an, das vor allem aus folgenden Komponenten bestand: für alle von der Betreibergesellschaft auf den Finanzmärkten für den Bau des AKW aufgenommenen Darlehen würde das Vereinigte Königreich staatliche Bürgschaften übernehmen, die sich auf über 100 Mrd. Euro summieren dürften. Des Weiteren ist eine Preisgarantie dahingehend vorgesehen, dass durch einen sogenannten Differenzvertrag („Contract for Difference“, CfD) dem Betreiber des AKW über eine Periode von 35 Jahren ein erheblich über dem Marktpreis von elektrischer Energie liegender Abnahmepreis des erzeugten Stroms zuzüglich eines indexierten Inflationsausgleichs garantiert wird.[8] Diese geplanten Garantievergütungen sind mit umgerechnet 12 Cent pro Kilowattstunde dreimal so hoch wie der gegenwärtige Marktpreis. Zuletzt sind für den Fall einer Drosselung der Erzeugung oder einer gänzlichen Abschaltung des AKW durch eine „politisch“ motivierte Änderung der britischen Gesetzeslage Schutzmaßnahmen in Form von Schadensersatz- und Erstattungsansprüchen vorgesehen.

Am 7. März 2014 veröffentlichte die Kommission[9] den Eröffnungstext des EU-beihilfenrechtlichen Hauptprüfverfahrens für Hinkley Point C[10], das sie in der Folge mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 abschloss,[11] diesen, samt Begründung, aber erst nach fast sieben Monaten am 28. April 2015 veröffentlichte.[12] Obwohl die Kommission in diesem Zusammenhang feststellte, dass die vom Vereinigten Königreich geplanten Fördermaßnahmen an sich geeignet sind, den Wettbewerb zu verfälschen und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen,[13] versuchte sie diese unter Bezug auf die Kriterien des Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV – der „Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige“ als mit dem Binnenmarkt vereinbar und damit für genehmigungsfähig erklärt – zu rechtfertigen. Im Speziellen begründete sie diese Vereinbarkeit zum einen mit der Qualifikation der Fördermaßnahmen als Investitionsbeihilfen, zum andern durch ein aus Art. 2 lit. c) iVm Art. 40 EURATOM-Vertrag folgendes gemeinsames Interesse an der Förderung des Ausbaues der Atomkraft, sowie auch mit einem Marktversagen, das ein gewisses Eingreifen des Staates zur Förderung CO2-armer Stromerzeugung (sog. „Dekarbonisierung“, als Verzicht auf fossile Energieträger), einschließlich der Kernkraft, rechtfertige. Das Marktversagen resultiere aus einem Fehlen marktbasierter Finanzinstrumente zur Absicherung gegen das große Risiko von Investitionen in die Kernenergie, das aus einer Kombination von hohen Investitionskosten, langen Bauzeiten sowie einer massiv erhöhten Betriebsdauer zur Amortisierung dieser Kosten hervorgehe. Dementsprechend kam die Kommission zu dem Schluss: „Die Beihilfe für Hinkley Point C (…) sowie alle damit in Zusammenhang stehenden Elemente, die das Vereinigte Königreich durchzuführen plant, sind im Sinne des Artikels 107 Absatz 3 Buchstabe c AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar“.[14]

Die vermeintliche Investitionsbeihilfe wird aber in eine veritable Betriebsbeihilfe verwandelt, die mit dem EU-Beihilfenrecht im Lichte der Judikatur des Gerichtshofs eindeutig unvereinbar ist.

Keines dieser Argumente der Kommission überzeugt völlig[15]: So liegt, in Kombination mit Kreditgarantie und Ausgleichsansprüchen, der Schwerpunkt des CfD in der Garantie von Einnahmesicherheit und Profitabilität begründet, wodurch sich die vermeintliche Investitionsbeihilfe aber in eine veritable Betriebsbeihilfe verwandelt, die mit dem EU-Beihilfenrecht im Lichte der Judikatur des Gerichtshofs eindeutig unvereinbar ist. Auch ist der Ausbau der Kernenergie weder ein Ziel der Union, noch liegt er im gemeinsamen Interesse der EU. Er ist allenfalls, wie vorstehend erwähnt, Ziel einzelner Mitgliedstaaten der Union. Im Übrigen wird der liberalisierte Elektrizitätsbinnenmarkt in der EU durch den EURATOM-Vertrag nicht außer Kraft gesetzt,[16] was aus dem „Hinweisenden Nuklearprogramm“ in Ausführung von Art. 40 EURATOM-Vertrag eindeutig hervorgeht, das des Weiteren auch die explizite Aussage enthält: „Wichtig ist, dass in der EU in Kernenergieprojekte keine staatlichen Beihilfen fließen“.[17]

Tatsächlich wird die Atomenergie durch die genehmigten Beihilfen nicht zur Erlangung der Marktreife gefördert, sondern trotz fehlender Wettbewerbsfähigkeit und trotz Vorhandenseins von Alternativen zur „Dekarbonisierung“ künstlich auf dem Markt gehalten.

Was schließlich das Marktversagen betrifft, so unterschätzt die Kommission vor allem die Rentabilität der Atomkraft sowie die Effektivität des „Emissionshandelssystems“ – samt dem in diesem Zusammenhang beschlossenen „Backloading“[18] – zur Verringerung des CO2-Ausstoßes. Im Grunde geht es in diesem Zusammenhang aber nicht um ein Marktversagen, sondern vielmehr um ein Technologieversagen der Kernenergie im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem liberalisierten Elektrizitätsbinnenmarkt, auf dem sie sich – trotz eines nunmehr schon über 60-jährigen kommerziellen Einsatzes – noch immer nicht als wettbewerbsfähige Energieerzeugungsform etablieren konnte. Tatsächlich wird die Atomenergie durch die genehmigten Beihilfen nicht zur Erlangung der Marktreife gefördert, sondern trotz fehlender Wettbewerbsfähigkeit und trotz Vorhandenseins von Alternativen zur „Dekarbonisierung“ künstlich auf dem Markt gehalten.  Damit wird aber kein Marktversagen behoben, sondern es werden im Gegenteil Wettbewerbsverzerrungen, vor allem für Anbieter erneuerbarer Energien, erzeugt, was mit Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV unvereinbar ist.[19] Das EU-Beihilfenrecht lässt grundsätzlich eine Dauersubventionierung einer zwar ausgereiften, unter Berücksichtigung aller externen Kosten (Entsorgung, Lagerung, Nachsorge, nukleare Unfälle etc.) aber unrentablen Technologie, nicht zu.[20]

Die Nichtigkeitsklage Österreichs

Die Republik Österreich brachte am 6. Juli 2015 beim Gericht eine Nichtigkeitsklage[21] gegen den Genehmigungsbeschluss der Kommission[22] in Bezug auf die vom Vereinigten Königreich geplante staatliche Beihilfe zugunsten des AKW Hinkley Point C ein,[23] die parlamentarisch durch eine einstimmige Entschließung des Umweltausschusses und in der Folge am 22. Oktober 2014 auch durch eine solche des Plenums des Nationalrates politisch abgesichert worden war.[24]

Am 15. Juli 2015 wurde eine weitere einschlägige Klage[25] seitens eines Bündnisses von zehn Ökostromanbietern und Stadtwerken aus Deutschland und Österreich unter der Federführung von Greenpeace Energy eingebracht.[26]

Die Nichtigkeitsklage Österreichs wurde erst am 14. Oktober 2015 auf der Informationsseite der Rechtsprechung des Gerichtshofs (InfoCuria) in einer Kurzfassung veröffentlicht, womit die zehn Klagegründe erstmals publik gemacht wurden. Sie decken sich zum großen Teil mit den acht Klagegründen der Nichtigkeitsklage von Greenpeace Energy ua, und fußen zum überwiegenden Teil auf den bereits zitierten gutachtlichen Stellungnahmen der beigezogenen einschlägigen Experten.[27]

Allein schon die Einbringung der Nichtigkeitsklage durch Österreich hat eine Reihe von potentiellen Investoren in das AKW Hinkley Point C, wie zB die Staats-Fonds von Kuwait und Katar, die Saudi Electric Company und Hermes Investment Fund, zum Rückzug veranlasst.

Allein schon die Einbringung der Nichtigkeitsklage durch Österreich hat eine Reihe von potentiellen Investoren in das AKW Hinkley Point C, wie zB die Staats-Fonds von Kuwait und Katar, die Saudi Electric Company und Hermes Investment Fund, zum Rückzug veranlasst und die beiden Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s kündigten an, die Kreditwürdigkeit des Hauptinvestors Électricité de France (EDF) gegebenenfalls zurückzustufen, da die wirtschaftlichen Risiken im Falle einer Stattgebung der Nichtigkeitsklage unabsehbar seien.

Diese Umstände haben Vijay Rangarajan, den Europadirektor im britischen Foreign Office, zu der gehässigen Bemerkung veranlasst, dass „das UK in Zukunft jede Gelegenheit wahrnehmen werde, Österreich in Bereichen zu klagen oder zu schaden, die starke innenpolitische Auswirkungen haben“.[28] Damit soll der durchaus mutige Beschluss der österreichischen Bundesregierung vom 23. Juni 2015 auf Klageerhebung gezielt konterkariert werden.

Österreichs Skepsis gegen Atomkraft

Was veranlasst Österreich aber immer wieder dazu, auf die Gefahren der Atomkraft hinzuweisen und gegen diese vorzugehen? Es ist vor allem die seit dem Atomsperrgesetz (sog. „Anti-Zwentendorf“-Gesetz) (1978)[29] in der Bevölkerung tief verankerte Ablehnung der Kernenergie zur Elektrizitätsgewinnung, die auch in weiteren einschlägigen Gesetzen (BVG für ein atomfreies Österreich[30], Atomhaftungsgesetz[31]) sowie bilateralen Abkommen mit den drei Nachbarstaaten Tschechien,[32] Slowakei[33] und Slowenien[34] über die nukleare Sicherheit und den Strahlenschutz ihren Ausdruck gefunden hat. Die Furcht vor einem nuklearen Betriebsunfall, vor allem in grenznahen Kernkraftwerken, der das kleinräumige Österreich weiträumig verstrahlen würde, ist dementsprechend ausgeprägt.

Österreich ist von einer Reihe relativ grenznaher AKW in einigen mittel- und osteuropäischen Ländern – wie zB Bohunice (Slowakei), Mochov­ce (Slowa­kei), Dukovany (Tschechien), Temelín (Tsche­chien), Křsko (Slowenien) und Paks (Ungarn) – umgeben, die noch zum Teil auf veralteter sowjetischer bzw. russischer Technologie beruhen bzw zwar durch moderne westliche Technologie (Westinghouse etc.) nachgerüstet wurden, was diese aber (als nunmehr hybride Anlagen) nicht wesentlich sicherer machte. Zu diesen bestehenden AKW soll neuerdings noch das AKW Paks II (Ungarn) hinzukommen, hinsichtlich dessen Ungarn Österreich die Umweltverträglichkeitsstudie für die Errichtung zweier Kernkraftwerksblöcke neuester russischer Technologie (WWER-1200 der Generation 3+) vor kurzem übermittelte.[35] Am 23. September 2015 kam es in der Folge auf der TU Wien zur öffentlichen Erörterung des Projekts, deren Ergebnisse samt der im Auftrag des BMLFUW sowie von sechs Bundesländern erstellten Fachstellungnahme an die ungarische ESPOO-Kontaktstelle weitergeleitet wurden.[36]

Zulässigkeit grenznaher Atomkraftwerke?

Da es sich bei der Errichtung grenznaher AKW um „ultra-hazardous activities“ handelt, kehrt sich der normale Haftungstatbestand der Verschuldenshaftung im Völkerrecht in den einer Gefährdungs– oder Erfolgshaftung um, dh dass bei einem eingetretenen Schaden für den bloßen Erfolg gehaftet wird, ohne dass ein Verschulden des Schädigers nachgewiesen werden muss. Trotz dieses erhöhten Haftungsstandards werden aber immer wieder grenznahe Atomkraftwerke gebaut und in der Folge ein störungsfreier Betrieb derselben erwartet. Wie die vielfältigen kleineren Störfälle,[37] vor allem aber die vorstehend erwähnten beiden GAUs in Tschernobyl und Fukushima – zu denen in historischer Sicht noch die beiden in den AKWs von Majak/UdSSR (1957) und Three Mile Island/USA (1979) hinzugezählt werden müssen – belegen, ist dem in praxi eben nicht so.

[zitat inhalt =”Wie das Beispiel Temelín zeigt, ist es in der Praxis aber sehr schwer, sich als Nachbarstaat gegen Störfälle in grenznahen Atomkraftwerken abzusichern, selbst wenn – wie vorstehend erwähnt – entsprechende einschlägige bilaterale Abkommen abgeschlossen wurden.”]

Wie das Beispiel Temelín zeigt, ist es in der Praxis aber sehr schwer, sich als Nachbarstaat gegen Störfälle in grenznahen Atomkraftwerken abzusichern, selbst wenn – wie vorstehend erwähnt – entsprechende einschlägige bilaterale Abkommen abgeschlossen wurden.[38] Nach dem Baubeschluss von Temelín 1979 schloss Österreich mit der CSSR zunächst 1984[39] und in der Folge 1989[40] zwei Abkommen über nukleare Sicherheit ab, die allerdings zu keiner lückenlosen Meldung von Störfällen seitens Tschechiens führten.

Nach mehreren Protesten Österreichs trafen sich BK Schüssel und der tschechische Premierminister Zeman am 12. Dezember 2000 – im Beisein von EU-Kommissar Günter Verheugen als „Vermittler“ – zu einem „Gipfeltreffen“ in Melk, dessen Ergebnis im sog. „Melker Protokoll“ festgehalten wurde. Die drei Unterzeichner des „Melker Protokolls“, trafen knapp ein Jahr später, nämlich am 29. November 2001, in Brüssel erneut zusammen, um einen „follow-up“ des Prozesses zu definieren, wie er im Melker Protokoll vorgesehen war. Sie erzielten dabei Übereinstimmung über die „Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und das Follow-Up“ (sog. „Brüsseler Vereinbarung“), die allerdings von den beiden Verhandlungspartnern rechtlich unterschiedlich qualifiziert wurde.

Während die Republik Österreich diese Übereinkunft als völkerrechtlich bindendes Regierungsübereinkommen iSv Art. 66 Abs. 2 B-VG ansah und dementsprechend auch im Bundesgesetzblatt veröffentlichte[41], qualifizierte sie Tschechien als bloßes „gentlemen’s agreement“ ohne rechtliche Bindungswirkung und nahm sie nicht in das Register der publizierten völkerrechtlichen Verträge im Außenministerium (MZV) auf. Österreich konnte lediglich eine „Gemeinsame Erklärung (Nr. 4) der Tschechischen Republik und der Republik Österreichs zu ihrer bilateralen Vereinbarung über das Kernkraftwerk Temelín“ in der Schlussakte von Athen 2003[42] erreichen, der allerding keine rechtliche Bindungswirkung zukommt. Damit ist aber die seitens Österreichs erhoffte vertragliche Bindung Tschechiens, alle Störfälle im AKW Temelín umgehend zu melden, nicht erreicht worden und Österreich musste trotzdem, nolens volens, dem Abschluss des Energiekapitels und damit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur EU insgesamt zustimmen.

Dass neben dieser völker(vertrags)rechtlichen Vorgangsweise aber auch zivilrechtliche Klagen gegen das radioaktive Gefährdungspotential des AKW Temelín nicht erfolgversprechend waren, belegt die vorbeugende Immissionsabwehrklage gegen die Betreibergesellschaft (CEZ) von Temelín, mit der das Land Oberösterreich 2006 vor dem EuGH scheiterte[43].

[1] IAEA, Power Reactor Information System; http://pris.iaea.org/public/, WIKIPEDIA, Liste der Kernkraftwerke.

[2] Belgien, Bulgarien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Litauen, Niederlande, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich.

[3] Im zweitgereihten Russland werden aktuell lediglich 34 AKW betrieben.

[4] Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV.

[5] AREVA machte 2014 4,9 Mrd. Verlust und musste durch eine Restrukturierung von EDF aufgefangen werden.

[6] ICSID-Case ARB/12/12: Vattenfall versus Federal Republic of Germany.

[7] Vgl. Hummer, W. Die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) zwischen der EU und den USA. Investitionsschutz und Streitbeilegung – Die Suche nach einem gerechten Ausgleich zwischen staatlichem Regulativ und unternehmerischen Interessen, ÖGfE-Policy Brief 12/2014, 6. Juni 2014, S. 1 ff.; Hummer, W. Was haben TTIP, CETA und TISA gemeinsam?, integration 1/2015, S. 3 ff.

[8] Der garantierte Tarif (Strike Price) beträgt 92,50 GBP/MWh. Der Differenzbetrag kann, je nach Marktpreis, bis maximal 17,6 Mrd. GBP betragen.

[9] Auf der Basis von Art. 108 Abs. 2 AEUV.

[10] SA.34947 (2013/C) (ex 2013/N) „Contract for Difference“; ABl. 2014, C 69, S. 60.

[11] Von den 28 Kommissaren stimmten lediglich 16 dafür, jedoch 4 dagegen, nämlich diejenigen aus Österreich, Dänemark, Luxemburg und Slowenien. Wenngleich die Kommissare keine Vertreter ihrer Heimatstaaten sind, ist dieses Stimmverhalten signifikant.

[12] Beschluss der Europäischen Kommission (EU) 2015/658 vom 8. Oktober 2014 über die von Vereinigten Königreich geplante staatliche Beihilfe SA.34947 (2013/C) (ex 2013/N) zugunsten des Kernkraftwerks Hinkley Point, bekanntgegeben unter Aktenzeichen C[2014]7142, Ziff. 6 ff, 37 ff und 48 ff.; ABl. 2015, L 109, S. 44 ff.

[13] Beschluss 2015/658 (Fn. 12), Ziff. 340.

[14] Art. 1 des Beschlusses 2015/658 (Fn. 12); ABl. 2015, L 109, S. 98.

[15] Vgl. dazu die Studien von BMWFW-Koordination „EU-Beihilfenrecht“, Stellungnahme der Republik Österreich zur Eröffnung des EU-beihilfenrechtlichen Prüfverfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV, vom 4. April 2014; Fouquet, D. Erarbeitung eines Antwortkataloges im Hauptprüfverfahren der Europäischen Kommission – Staatliche Beihilfe SA.34947 (2013/C) (ex 2013/N), Gutachten, erstellt am 5. April 2014; Ziehm, C. Stellungnahme im Rahmen der Sachverständigenanhörung „EU-Subventionen AKW Hinkley Point C“ des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestages am 17. Juni 2015, Ausschussdrucksache 18(9)478;

[16] ao. Univ.-Prof. Michael Geistlinger/Univ. Salzburg äußerte bei seiner Anhörung im Umweltausschuss des NR aber gerade diese Befürchtung, dass sich Großbritannien auf den EURATOM-Vertrag stützen werde, der eine Fülle von Argumenten für die Genehmigung der Beihilfen enthalte; http://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2015/PK0465/

[17] Aktualisierung des Hinweisenden Nuklearprogramms 2007 im Zuge der Zweiten Überprüfung der Energiestrategie, KOM(2008) 776 endg., S. 11.

[18] Vgl. Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, „Backloading“ beschlossen: EU stärkt Handel mit CO2-Emissionen,  vom 9. Januar 2014.

[19] Ziehm, Stellungnahme (Fn. 15), S. 10; Fouquet, Gutachten (Fn. 15), S. 44 f.

[20] BMWFW, Stellungnahme der Republik Österreich (Fn. 15), S. 8 f.

[21] Gem. Art. 263 Abs. 2 AEUV.

[22] Siehe Fn. 12.

[23] Gericht, Rs. T-356/15, Österreich/Kommission; ABl. 2015, C 337, S. 14 f.

[24] Parlamentskorrespondenz Nr. 465 vom 5. Mai 2015, S. 1.

[25] Gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV.

[26] Gericht, Rs. T-382/15, Greenpeace Energy ua/Kommission; ABl. 2015, C 337, S. 22 ff.

[27] Vgl. Fn. 15.

[28] www.global2000.at/sites/global/files/GLOBAL2000_HinkleyPoint_Hintergrundpapier.pdf.

[29] BGBl. Nr. 676/1978.

[30] BGBl. I 149/1999.

[31] BGBl. I 170/1998.

[32] BGBl. 565/1990.

[33] BGBl. 1046/1994.

[34] BGBl. III 176/1998.

[35] Gem. Art. 3 des UN/ECE-Übereinkommens über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Espoo-Konvention) (1991) (BGBl. III 201/1997) und Art. 7 der Richtlinie 2011/92/EU des EP und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1 ff.)

[36] EU-Umweltbüro: Aktuelle EU-News, vom 8. Juli 2015; Umweltbundesamt: UVP KKW Paks II.

[37] ZB neuerdings Ende Juni 2015 im AKW Temelín und knapp davor im AKW Dukovany.

[38] Vgl. Hummer, W. Temelín: Das Kernkraftwerk an der Grenze, ZöR 4/2008, S. 1 ff.

[39] BGBl. 208/1984.

[40] Fn. 32.

[41] BGBl. III Nr. 266/2001.

[42] ABl. 2003, L 236, S. 974.

[43] EuGH, Rs. C-343/04, Land OÖ/CEZ, Slg. 2006, S. I-4557 ff.

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ISSN 2305-2635

Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.

Zitation

Hummer, W. (2015). Hinkley Point C – Der Kampf Österreichs gegen Bau und Betrieb von Atomkraftwerken. Wien. ÖGfE Policy Brief, 36’2015