Das Krisenmanagement der Europäischen Zentralbank – Erfolge und Misserfolge

Handlungsempfehlungen

  1. Zielband statt Punktziel: Die Europäische Zentralbank sollte eine Inflationsrate von unter 2% ansteuern anstelle des jetzigen Ziels von „unter, aber nahe 2%“.
  2. Kerninflation: Das richtige Inflationsziel wäre die Kern- und nicht die Gesamtinflation des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes.
  3. Quantitative easing: Da die bisherigen Erfolge der quantitative easing-Politik bescheiden sind, sollte deren Umfang ausgeweitet werden.

Zusammenfassung

Eine Abfolge von Krisen – die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, die Große Rezession 2009 und die folgende Eurokrise – zwangen die Wirtschaftspolitik zum Handeln. Nachdem die Fiskalpolitik ihr Pulver im Kampf gegen die Folgen der Rezession 2009 verschossen hatte, blieb die Geldpolitik die einzige expansive Spielerin in der Politikarena. Die Europäische Zentralbank (EZB) reagierte – wie die anderen wichtigen Notenbanken der Welt – zunächst mit einer Nullzinspolitik, dann mit „quantitative easing“. Allerdings handelte die EZB im Vergleich mit der Fed erst mit einiger Verzögerung.
Bei der Bewertung des Krisenmanagements der EZB muss man klar festhalten, dass sie ihr eigenes Inflationsziel von 2% bisher verfehlt hat. Allerdings war sie erfolgreich in der Reduzierung der hohen Renditen für Staatsanleihen nach der berühmten „Whatever it takes“-Rede von EZB-Präsident Draghi im Juli 2012 und der anschließenden Ankündigung des OMT (Outright Monetary Transactions)-Programmes.
Ob das quantitative easing-Programm der EZB in den Jahren 2015/17 im Hinblick auf die Erreichung des primären Ziels, nämlich einer Inflationsrate von 2% erfolgreich sein wird, ist eine offene Frage. Simulationen mit dem Makroweltmodell zeigen, dass die quantitative easing-Politik das Inflationsziel zwar erreichen wird – allerdings mit großer Verzögerung. Die Stimulierung der Realwirtschaft wird nicht so hoch ausfallen wie in den USA. Andere unbeabsichtigte Effekte – wie z.B. das Entstehen von Blasen auf den Aktienmärkten – sind größer als die beabsichtigten Effekte.

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Das Krisenmanagement der Europäischen Zentralbank – Erfolge und Misserfolge

1. Unterschiedlich rasche Reaktionen auf die Krisen

Eine Abfolge von Krisen – die globale Finanz- und Wirtschaftskrise (GFC) 2008, die Große Rezession 2009 und die folgende Eurokrise – zwangen die Wirtschaftspolitik zum Handeln. Nachdem die Fiskalpolitik ihr „keynesianisches“ Pulver im Kampf gegen die Folgen der Rezession 2009 – wegen der Anhäufung untragbar hoher Schulden – verschossen hatte, blieb die Geldpolitik die einzige expansive Spielerin in der Politikarena. Von den dominierenden Notenbanken der Welt reagierte wohl die US-amerikanische Fed am schnellsten, nämlich bereits kurz nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 mit der Reduzierung des Leitzinssatzes (Federal Funds Rate) auf null und dem Einsatz unkonventioneller Maßnahmen, wie dem „quantitative easing“ (QE; oder quantitative Lockerung). Da in den USA die expansive Geldpolitik auch durch eine stimulierende Fiskalpolitik begleitet wurde, schafften es die USA, schneller und tragbarer aus der Großen Rezession herauszuwachsen als Europa. Nicht zuletzt dank des damaligen Fed-Präsidenten Ben Bernanke (2015), der die Weltwirtschaftskrise gründlich studiert hatte, reagierte die Fed in der „Großen Rezession“ 2009 rascher und richtiger als in der Großen Depression der dreißiger Jahre.
Die Europäische Zentralbank (EZB) reagierte zwar auch auf die Krisen mit konventionellen (Nullzinssatzpolitik) und unkonventionellen Maßnahmen (QE), allerdings mit einer erheblichen Verzögerung auf die US-amerikanische Fed. Der Zinssatz (Hauptrefinanzierungssatz) wurde erst im September 2014 auf null gesetzt und das QE-Programm startete die EZB erst spät im März 2015. Da in der Eurozone allein die Geldpolitik expansiv war, die Fiskalpolitik aber nach der Eurokrise ab 2010 (auch aufgrund der Verschärfungen der Fiskalregeln: Sixpack; Fiskalpakt etc.) auf Austerität schaltete, kam auch die Erholung aus der Großen Rezession nur kurz in Gang, mündete aber 2011-2013 bereits wieder in einer „Double dip“-Rezession[1]. Mangelnde wirtschaftspolitische Koordinierung bewirkte, dass die Eurozone im Gegensatz zu den USA das Vorkrisenniveau des realen BIP noch kaum erreicht hat.

2. Ist die EZB eine „Krisengewinnlerin“?

Das vorrangige Ziel der EZB – als Teil des Europäischen Systems der Zentralbanken – ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten (Artikel 127, AEU-Vertrag). Dazu legt sie eine (für den ganzen Euroraum einheitliche) Geldpolitik fest und führt sie auch aus. Im Zuge der diversen Krisen und der Reform der Governance der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU – Verschärfung der Koordinierung der Fiskalpolitik; Bankenunion) sind der EZB immer mehr Aufgaben zugewachsen. Man könnte daher die EZB fast als „Krisengewinnlerin“ bezeichnen.

Im Zuge der diversen Krisen und der Reform der Governance der Wirtschafts- und Währungsunion sind der EZB immer mehr Aufgaben zugewachsen. Man könnte daher die EZB fast als „Krisengewinnlerin“ bezeichnen.

Ihre dominierende Rolle ergibt sich daraus, dass sie krisenbedingt mehr und mehr zu einem „Multitasker“ geworden ist:

  • Einheitliche Geldpolitik: Zum einen wird die Hauptaufgabe der EZB, die Gestaltung einer einheitlichen Geldpolitik angesichts eines immer uneinheitlicheren Wirtschaftsraums immer schwieriger. Die Krisen der letzten Jahre haben die ohnehin immer schon bestandene Heterogenität der Eurozone (kein „europäischer Konjunkturzyklus“) noch verschärft und die Eurozone wirtschaftlich in einen Kern (oder Norden) und die Peripherie (Süden) gespalten.
  • Einheitliche Bankenaufsicht: Im Rahmen der ersten Stufe der Europäischen Bankenunion hat die EZB (Einheitlicher Aufsichtsmechanismus – SSM) im November 2014 die Überwachung der größten Banken im Euroraum übernommen.
  • Troika: Im Rahmen der Rettungsaktionen in der Eurozone ist die EZB Mitglied der Troika (zusammen mit der Europäischen Kommission und dem IWF). Im ESM (Europäischer Stabilitäsmechanismus)-Vertrag wird mehrmals erwähnt, dass die Kommission bei der Ausarbeitung der Bedingungen für Reformen (meist fiskalpolitischer Natur) in Programmländern (z.B. Griechenland) – im Memorandum of Understanding (MoU) – die EZB heranziehen soll.

Dieses „Multitasking“ der EZB wird vielfach kritisiert, weil es die eigentliche Hauptaufgabe, die Durchführung der einheitlichen Geldpolitik in voller Unabhängigkeit (Artikel 282, AEUV) gefährden könnte. Insbesondere durch die Bankenaufsicht und vor allem durch die Teilnahme an der Troika besteht die Gefahr der Einflussnahme in die Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten der Eurozone.

3. Erfolge und Misserfolge der EZB

Ankündigungserfolge der Geldpolitik

Die EZB konnte einen großen Erfolg im Bereich der Beeinflussung der seit der Eurokrise 2010 aus dem Ruder gelaufenen Renditen von Staatsanleihen (insbesondere jene der Peripheriestaaten – allen voran Griechenland, aber auch Irland, Portugal und Spanien) verbuchen. Nach der berühmten „Whatever-it-takes“-Rede von EZB-Präsident Mario Draghi in London im Juli 2012 und der anschließenden Ankündigung des OMT-Programmes[2] wurden die Spreads der Renditen der Euro-Staatsanleihen deutlich kleiner.
Mit Beginn der WWU herrschte auf den Finanzmärkten die „No-bail-out-Illusion“ vor, d.h. die Käufer von Staatsanleihen aus Ländern der Eurozone glaubten, dass das Ausfalls-Risiko mit Eintritt in die Eurozone praktisch in allen Ländern gleich hoch – nämlich null – sein würde. Erst nach Ausbruch der Eurokrise, angestoßen durch unglaubwürdige Budgetzahlen in Griechenland Ende 2009 wachten die Finanzmärkte (und Ratingagenturen) auf und bewerteten das Default-Risiko realistischer. Da es anfänglich zu einem Überschießen kam, nahm die Spreizung der Renditen stark zu. Jene der Peripheriestaaten schossen stark nach oben (am stärksten in Griechenland), während sie in den Kernländern – insbesondere in Deutschland – sogar noch sanken. Die Draghi-Rede plus OMT-Ankündigung machte diesem Spuk ein Ende und führte zu einer annähernd realistischen Einschätzung der Risiken von Staatsbankrotten von Mitgliedstaaten der Eurozone.

EZB verliert Kontrolle über eigenes Inflationsziel

Diesem Erfolg einer erfolgreichen Ankündigungspolitik der EZB steht der offensichtliche Misserfolg auf dem Gebiet der Hauptaufgabe der EZB, nämlich der Gewährleistung der Preisstabilität gemäß eigener Definition, gegenüber.
Insgesamt hat die EZB das – seit 2003 – selbstgesteckte Ziel einer jährlichen Inflationsrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI)[3] von „unter, aber nahe 2%“ mittelfristig erreicht. Seit 1999 lag – laut Eurostat – die Inflationsrate bei 1,81%. In der Periode vor der Krise (1999-2008) betrug die durchschnittliche jährliche Inflationsrate 2,19%. Vor Beginn der WWU (1991-1998) lag die Inflationsrate bei 2,62%.
Seit der Großen Rezession von 2009 jedoch hat die EZB die Kontrolle über das selbstgesteckte Inflationsziel verloren. Im Durchschnitt 2009-2015 lag die Inflationsrate nur bei 1,27% mit negativen (deflationären) Phasen 2009 und 2015.
Hinter dem Durchschnittswert der Eurozone verbirgt sich eine große Streuung zwischen den Mitgliedstaaten. Im November 2015 wiesen noch immer 8 Mitgliedstaaten (im September 2015, 11) negative Inflationsraten auf (am stärksten Zypern mit -1,5%), während einige Länder Raten über dem Eurozonen-Durchschnitt von 0,2% aufwiesen (Belgien, 1,4%, Malta, 1,3%, Österreich, 0,5%). Im Dezember 2015 (0,2%) hat sich die Inflationsrate im Euroraum nicht verändert. Selbst das im März 2015 gestartete QE-Programm mit dem Hauptziel der Bekämpfung der Deflationsgefahr hat bisher keinen nennenswerten Erfolg gebracht.

Falsches Inflationsziel?

Die EZB scheint nicht nur die Kontrolle über das Inflationsziel verloren zu haben, sie zielt auch auf den falschen Inflationsindex ab. Die Definition der Preisstabilität (2%) der EZB zielt auf die Gesamtinflationsrate des HVPI ab. Allerdings kann sie gar nicht alle Komponenten der Gesamtinflation kontrollieren, insbesondere nicht die Energie-, Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise. Diese werden auf den internationalen Rohwarenmärkten gebildet und entziehen sich somit der Kontrolle der EZB.

Besonders in Zeiten starker Fluktuationen auf den Energie- und Rohwarenmärkten wie 2008 (Boom) und 2014/15 (Verfall), wäre die Kerninflation näher an dem selbstgesteckten Preisstabilitätsziel.

Es wäre daher sinnvoller, wenn die EZB nur die Kerninflation (HVPI exklusive Energie- und Nahrungsmittelpreise) als Preisstabilitätsziel anpeilen würde. Besonders in Zeiten starker Fluktuationen auf den Energie- und Rohwarenmärkten wie 2008 (Boom) und 2014/15 (Verfall), wäre die Kerninflation näher an dem selbstgesteckten Preisstabilitätsziel. Die Kerninflationsrate stieg denn auch von 0,6% im März 2015 auf 0,9% im Dezember 2015. Trotzdem kann man auch diesen leichten Anstieg der Kerninflation (noch) nicht als großen Erfolg des QE-Programmes vom März 2015 ansehen.

Zielband statt Punktziel?

Die EZB könnte sich den krampfhaften Versuch, eine Inflationsrate von knapp 2% erreichen zu wollen, ersparen, wenn sie wieder zurückkehrte zum ursprünglichen (vor 2003 gültigen) Inflationsziel, nämlich von unter 2%. Das würde – wie von der Schweizerischen Nationalbank praktiziert – einem Zielband statt einem Punktziel entsprechen (siehe Fuster, 2016).

4. Lehren aus der Großen Depression

Der Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15. September 2008 gab – ganz im Gegensatz zum Fehlverhalten der Geldpolitik während der Großen Depression der dreißiger Jahre – für die Zentralbanken der wichtigsten Industriestaaten das Signal, expansiv ohne Grenzen einzuschreiten. Zunächst geschah dies mit konventionellen und nach deren Ausreizung mit unkonventionellen Mitteln.

Von konventionellen …

Als die amerikanische Subprime-Krise 2007 seinen Lauf nahm, reagierte die US-Fed – bereits vor der Pleite von Lehman Brothers – mit einer Senkung ihres Hauptzinssatzes (Federal Funds Rate) von 5% im September 2007 bis zu 0-0,25% im Dezember 2008. Die EZB reagiert erst verzögert auf die Krise. Im Juli 2008 erhöhte sie sogar noch den Satz für ihr zinspolitisches Hauptrefinanzierungsinstrument (Main Refinancing Operation, MRO) von 4% auf 4,25%. Erst nach Lehman Brothers begann sie ihre Zinssätze schrittweise zu senken bis sie zuletzt im September 2014 das Nullniveau (0,05%) erreichten. Für täglich fälliges Geld (Deposit Facility Rate) wurde sogar ein Strafzinssatz von -0,2% festgelegt. Am 3. Dezember 2015 wurde dieser Satz nochmals – auf -0,3% – gesenkt. Andere wichtige Zentralbanken (auch die Bank of England – BoE) reagierten rascher. Die Bank of Japan (BoJ) versuchte bereits vor der GFC 2008 und der Großen Rezession 2009 mit einer Nullzinspolitik die japanische Wirtschaftsflaute verbunden mit Deflation – bisher erfolglos – zu bekämpfen.
Man könnte die von der westlichen Welt seit der Krise eingeschlagene Nullzinspolitik auch als unbeabsichtigten Einstieg ins Islamische Bankwesen ansehen. Dessen wichtigstes Element ist das Zinsverbot, auch bekannt als „riba“.

…. zu unkonventionellen Maßnahmen

Sobald die Hauptzinssätze der Zentralbanken das Nullniveau erreichten, wechselten sie von konventionellen zu unkonventionellen Maßnahmen (laut EZB zu nonstandard measures). Die US-Fed reagierte nicht nur mit konventionellen Maßnahmen (Zinssatzsenkung), sondern auch mit unkonventionellen Maßnahmen (vor allem QE) kurz nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers. Es folgten die BoE, viel später die EZB.
Obwohl Japan und die USA die QE-Politik bereits vor der Krise praktizierten, zwang sie erst die Großen Rezession 2009 zu einer kräftigen Ausweitung. Die Fed und die BoE steigerten ihre QE-Programme auf bis zu 20% und 25% des BIP. Die EZB erreichten nur ein Niveau von 13% des BIP. Die BoJ – mit Beginn von „Abenomics“ – startete seit 2013 eine massive Ausweitung des QE-Programmes, das bis Ende 2017 auf 90% des BIP gesteigert werden könnte.

Transatlantische Divergenz in der Geldpolitik

Die EZB lag im Krisenmanagement bisher zeitlich immer hinter jenem der Fed. Diese Konstellation ist auch für die nahe Zukunft zu erwarten. Während die EZB am 3. Dezember 2015 ihre expansive Geldpolitik durch Senkung des Satzes für die Einlagefazilität auf -0,3% senkte, startete die Fed bereits ihren Ausstieg aus der ultra-expansiven Geldpolitik durch Anhebung der Federal Funds Rate von 0% bis 0,25% auf 0,25% bis 0,50%. Dieser erste Schritt in Richtung Normalisierung führt zu einem transatlantischen Auseinanderlaufen der Geldpolitik von USA und Eurozone mit unabsehbaren Konsequenzen (Euro-Schwächung; internationale Kapitalströme Richtung USA).

5. Was ist von der aktuellen QE-Politik der EZB zu erwarten?

Nachdem die Geldpolitik nahe der Nullzinsgrenze (Zero Lower Bound) wirkungslos geworden ist, werden jetzt praktisch von allen wichtigen Notenbanken der Welt unkonventionelle Maßnahmen (QE) betrieben.

Nachdem die Geldpolitik nahe der Nullzinsgrenze (Zero Lower Bound) wirkungslos geworden ist, werden jetzt praktisch von allen wichtigen Notenbanken der Welt unkonventionelle Maßnahmen (QE) betrieben. Im Zuge der QE-Politik kaufen die Notenbanken private und staatliche Anleihen. Dadurch steigen die Bilanzsumme der Zentralbank und auch die Geldbasis. Die QE-Politik hat beabsichtigte Wirkungen und unbeabsichtigte Nebenwirkungen.

Beabsichtigte Wirkungen

QE beabsichtigt eine Vermeidung von Deflation bzw. den Anstieg der Inflationsrate (in der Eurozone auf 2%). Wichtig ist auch eine Verbesserung der Transmission, d.h. der Übertragung der geldpolitischen Lockerung auf den Bankensektor: die Zinsen sollten sinken, die Kreditvergabe steigen. Dadurch sollte es letztlich zu einer Stimulierung der Wirtschaft über mehr Investitionen, Konsum und Beschäftigung kommen.

Unbeabsichtigte Nebenwirkungen

Unbeabsichtigt sind das Entstehen von Blasen auf den Aktienmärkten, die Verzerrung der Preise auf den Finanzmärkten (vor allem am Anleihenmarkt), die Verschlechterung der Einkommensverteilung (Schuldner – private und der Staat[4] – gewinnen, Sparer verlieren) und letztlich stellt sich die europarechtliche Frage, ob die EZB damit nicht verbotene Staatsfinanzierung betreibt.

Das QE-Programm der EZB 2015-17

Am 22. Jänner 2015 beschloss der EZB-Rat eine Ausdehnung des bereits seit September 2014 laufenden Programms zum Kauf von Staatsanleihen. In dem Expanded Asset Purchase Programme (APP) wurde seit 9. März 2015 auch ein neues Programm, das Public Sector Purchase Programme (PSPP), aufgenommen, wodurch die Nationalen Zentralbanken der Eurozone entsprechend ihrem Kapitalanteil und die EZB marktfähige Schuldverschreibungen (von Staaten und speziell definierten staatsnahen Betrieben) am Sekundärmarkt aufkaufen. Seit März 2015 werden monatlich im Zuge von PSPP (das – im Gegensatz zu den bisherigen Programmen – auch von Vertretern der EZB als QE bezeichnet wird) Anleihen im Wert von 60 Mrd. Euro gekauft. Ursprünglich sollte das Programm bis September 2016 laufen; am 3. Dezember 2015 hat die EZB eine Verlängerung bis März 2017 beschlossen. Dadurch summiert sich das QE-Programm auf insgesamt 1.500 Mrd. Euro.

Welche Wirkungen kann man erwarten?

Bisher hat die QE-Intervention der EZB im Wesentlichen unbeabsichtigte Wirkungen gezeigt. Die Aktienmärkte wurden belebt, die Renditen für Staatsanleihen sanken („indirekte Staatsfinanzierung“). Für Sparer wird die Attraktivität traditioneller Finanzanlagen immer geringer. Die Schuldner profitieren. Das eigentliche Ziel, die Inflation anzuheizen, ist (noch) nicht gelungen. Dasselbe gilt für die Stimulierung der Wirtschaft durch eine Ausweitung der Kredite.

Breuss (2016) kommt in Simulationen mit dem Weltmakromodell von Oxford Economics zum Schluss, dass sich die beabsichtigten Effekte erst mit einer Verzögerung von rund einem Jahr einstellen werden. Das angestrebte Inflationsziel wird erst allmählich, letztlich erst 2020 erreicht.

Diese bisher empirisch zu beobachtenden Tendenzen werden auch in Simulationen mit einem Weltmodell bestätigt. Breuss (2016) kommt in Simulationen mit dem Weltmakromodell von Oxford Economics zum Schluss, dass sich die beabsichtigten Effekte erst mit einer Verzögerung von rund einem Jahr einstellen werden, während die unbeabsichtigten Effekte (Stimulierung der Aktienmärkte und Wechselkursänderungen von Euro zu Dollar) sofort wirken. Des Weiteren wird das angestrebte Inflationsziel erst allmählich, letztlich erst 2020 erreicht. Das QE-Programm der EZB (monatlich Käufe von Anleihen von 60 Mrd. Euro bis März 2017) dürfte lediglich zu einem kumulierten Anstieg des realen BIP in der Eurozone bis zum Höhepunkt im 1. Quartal 2017 von rund 0.2 Prozentpunkten führen. Der Effekt ist etwas höher in den Peripheriestaaten der Eurozone. Der „BIP-Multiplikator“ von QE in der Eurozone (d.h. der Anstieg des realen BIP in der Eurozone aufgrund einer einprozentigen Steigerung des QE-Programms der EZB) ist in den Simulationen mit dem Weltmakromodell mit 0,12 deutlich kleiner als in vergleichbaren Berechnungen für die USA[5] (0.40) und Großbritannien[6] (0.25), die allerdings DSGE- bzw. Zeitreihenmodelle[7] verwenden.

6. Schlussfolgerungen

Alle wichtigen Notenbanken der Welt fahren seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und der Großen Rezession 2009 eine sehr expansive Politik. Das sind die Lehren aus der Großen Depression der dreißiger Jahre, als die Federal Reserve auf die Bremse stieg und eine Verlängerung der Krise bewirkte. Auch die EZB reagierte auf die Krisen mit einer expansiven Geldpolitik – allerdings im Vergleich zur US-Fed verspätet.
Man könnte die EZB sogar als „Krisengewinnlerin“ bezeichnen, weil ihr seit Ausbruch der Krisen mehr und mehr Aufgaben – zusätzlich zur Kernaufgabe der Geldpolitik – zugewachsen sind. Durch die Bankenaufsicht im Rahmen der Europäischen Bankenunion und die Mitwirkung an den Rettungsaktionen (in der Troika) in den Peripheriestaaten der Eurozone wurde die EZB zum „Multitasker“.
Eine vorläufige Bewertung des Krisenmanagements der EZB führt zum Schluss, dass sie – durch eine Ankündigungspolitik (Draghi-Rede und OMT-Ankündigung) – im Senken der Renditen für Staatsanleihen der Eurozonen-Peripherieländer erfolgreich war. Sie verfehlt allerdings in den letzten Jahren ihr eigentliches Ziel, die Sicherung der Preisstabilität – zumindest in der selbstgewählten Definition einer Inflationsrate von 2%. Sie hätte ein leichteres Leben, wenn sie zum einen nur die Kerninflation ansteuern würde und zum anderen wenn sie sich vom Punktziel (Inflationsrate bei 2%) verabschiedete und stattdessen – wie früher – ein Zielband (0-2%) ansteuern würde.
Nachdem die Mittel der traditionellen Geldpolitik ausgeschöpft waren, als nach den Krisen die Notenbanken eine Nullzinspolitik einschlugen, probierten die wichtigsten Notenbanken der Welt – zuerst die BoJ, dann die Fed und die BoE – und zuletzt auch die EZB unkonventionelle Maßnahmen (vor allem QE) aus. Während in Japan die QE-Politik kläglich scheiterte, hat sie in den USA und in Großbritannien doch gewirkt. Die jüngst eingeschlagene QE-Politik der EZB könnte zwar auch wirken, allerdings sehr verzögert und möglicherweise nicht in dem gewünschten Ausmaß. Eine Nachbesserung ist daher wahrscheinlich.

[1] Von einer “Double dip“-Rezession spricht man, wenn kurz nach einer Rezession mit starkem Rückgang des realen BIP neuerlich eine Rezession auftritt.
[2] Das OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) war strikt an Reformbedingungen geknüpft und war im Wesentlichen nur für die Programmländer der Eurozone (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien) konzipiert (siehe EZB, 2012). Das OMT-Programm wurde jedoch von keinem Land in Anspruch genommen. Dennoch war OMT Gegenstand eines großen Rechtsstreits (Vorwurf: die EZB betreibe „Staatsfinanzierung“), zuerst vorgebracht vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht und (nach Antrag auf Vorabentscheidung) anschließender Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Am 16. Juni 2015 entschied der EuGH in der Sache C-62/14 Gauweiler und andere, dass das OMT-Programm kompatibel mit dem EU-Recht sei. Nunmehr muss noch das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
[3] Der harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI), ist ein in der Europäischen Union von Eurostat erhobener Verbraucherpreisindex, der nach EU-weit einheitlichen Regeln berechnet wird. Ihm liegt ein EU-weit einheitlicher Warenkorb zugrunde. Der HVPI ist die Kennzahl, mit der in der WWU die Preisniveauentwicklung gemessen wird.
[4] Laut Aussagen des Chefs der Bundesfinanzierungsagentur (OeBFA), Markus Stix, konnte sich die Republik Österreich dank der Niedrigzinspolitik seit 2009 rund fünf Mrd. Euro an Zinsen ersparen. Für die seither aufgenommenen Schulden werden sich die Einsparungen auf rund 40 Mrd. Euro belaufen (siehe Die Presse, 15.1.2016, S. 13).
[5] Siehe Gertler und Karadi (2013).
[6] Siehe Weale und Wieladek (2015).
[7] DSGE steht für Dynamic Stochastic General Equilibrium (Dynamisches stochastisches allgemeines Gleichgewicht). DSGE-Modelle werden in der neueren Makroökonomie mehr und mehr dafür angewandt, um die Auswirkungen von Politikentscheidungen zu simulieren. Für Prognosezwecke sind solche Modelle eher nicht geeignet.

  • Bernanke, B.S. (2015), The Courage to Act: A Memoir of a Crisis and its Aftermath, W. W. Norton & Company, New York 2015.
  • Breuss, F. (2016), “The Crisis Management of the ECB”, WIFO, Working Papers, No. 507, January 2016.
  • EZB (2012), “Technical features of Outright Monetary Transactions”, ECB Press Release, Frankfurt, 6 September 2012.
  • Fuster, T. (2016), „Zwei ist die neue Null: Warum Zentralbanken einen Unterschied machen zwischen Preisstabilität und stabilen Preisen“, Neue Zürcher Zeitung, 11. Januar 2016, S. 25 (und:
  • Fuster, T., „Geldpolitik – Zielband statt Punktziel“, Reflexe- Kommentare zum Wirtschaftsgeschehen, NZZ, 11.1.2016, S. 34).
  • Gertler, M., Karadi, P. (2013), “QE 1 vs. 2 vs. 3. . . : A Framework for Analyzing Large-Scale Asset Purchases as a Monetary Policy Tool“, International Journal of Central Banking, Vol. 9, S 1, January 2013, 5-53.
  • Weale, M., Wieladek, T. (2015), “What are the macroeconomic effects of asset purchases? CEPR Discussion Papers, No. 10495, March 2015.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.
Zitation
Breuss, F. (2016). Das Krisenmanagement der Europäischen Zentralbank – Erfolge und Misserfolge. Wien. ÖGfE Policy Brief, 4’2016

Univ. Prof. i.R. Dr. Fritz Breuss

Univ. Prof. i.R. Dr. Fritz Breuss (Jg. 1944) ist Jean-Monnet-Professor für wirtschaftliche Aspekte der Europäischen Integration an der Wirtschaftsuniversität Wien und Managing Editor von Empirica, Journal of European Economics.