Pattsituation in Spanien (Gastkommentar Paul Schmidt, Die Presse)

Die nächste Regierung muss Probleme offensiver als bisher angehen und ihr europäisches Auftreten verbessern.
Vor zwei Monaten hat Spanien sein Parlament gewählt. Eine neue Regierung gibt es noch immer nicht. Das Land steht derzeit – nach 1978 – vor einer zweiten demokratiepolitischen Transformation. Das bisherige System, in dem zwei dominierende Traditionsparteien sich in der Regierungsverantwortung abwechselten, wurde am 20. Dezember abgewählt. Im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen verloren beide insgesamt 5,2 Millionen an Wählerstimmen. Der Frust über Politik, Korruption und Vermögensungleichheit war zu groß.

Das spanische Parteienspektrum ist nun bunter, aber eben auch komplexer geworden. Mit der sozialistischen Podemos und der liberalen Ciudadanos wurden gleich auf Anhieb zwei neue Bewegungen von mehr als 8,5 Millionen – vor allem jungen – Spaniern ins Parlament gewählt. Vor dem Hintergrund dieser massiven Stimmenverschiebung weigert sich die sozialistische Arbeiterpartei PSOE, mit den bisher regierenden und von Korruption gebeutelten Konservativen zu koalieren. Zu gegensätzlich scheinen die politischen Blöcke, zu begrenzt die bisherigen Koalitionserfahrungen. Nachdem die konservative PP keine Chance auf ausreichende parlamentarische Unterstützung sah, sind nun die zweitgereihten Sozialisten am Zug, die Bildung einer Regierung zu versuchen.

Eine Regierungskonstellation, die von konträren parlamentarischen Gruppierungen unterstützt bzw. geduldet wird, muss aber erst einmal gelingen. Scheitert auch dieser Versuch, rücken Neuwahlen immer näher. Die nächsten Wochen werden jedenfalls entscheidend sein. Laut aktuellen Umfragen würden neuerliche Parlamentswahlen die derzeitige Pattsituation jedoch lediglich einzementieren.

Strukturelle Arbeitslosigkeit

Eine Situation, die sich in Spanien und auch in Europa niemand wünschen kann. Auch wenn die spanische Konjunktur zuletzt zulegt, gibt es große Probleme, die besser heute als morgen angegangen werden sollten: Die strukturelle Arbeitslosigkeit ist nach wie vor, gerade bei jungen Arbeitnehmern, enorm hoch. Die Beschäftigungsquote steigt zwar an. Aber eben vor allem auf Kosten jener, die sich in unterbezahlten Arbeitsplätzen wiederfinden und trotz Erwerbstätigkeit an oder sogar unter der Armutsgrenze leben. Katalonien strebt nach Unabhängigkeit, und die notwendige Verfassungsreform lässt mangels Regierung auf sich warten.
Europa steht vor Richtungsentscheidungen zu Migrations- und Asylpolitik, der Beziehung zum Vereinigten Königreich und der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Aber Spanien, das viertgrößte Land der EU, scheint sich – wenn überhaupt – nur marginal an der europäischen Debatte beteiligen zu können. Zu sehr kämpft das politische Establishment nach wie vor mit sich selbst und mit massiven Korruptionsfällen.
Während sich die Spanier Kompromissbereitschaft, eine lösungsorientierte und transparente Regierungspolitik erwarten, verzetteln sich die politischen Vertreter in strategischen Machtspielen und Partikularinteressen. Spanien braucht jedenfalls rasch eine handlungsfähige Regierung. Eine politische Erneuerung wäre das Gebot der Stunde.