Nicht das Ob, sondern das Wie bewegt (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Die mediale Aufregung war groß: Laut aktueller Eurobarometer-Umfrage hielten “plötzlich” nur 45 Prozent der Österreicher die EU-Mitgliedschaft für eine “gute Sache”. Ein Wert, der deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 60 Prozent liegt und damit umgehend für Schlagzeilen sorgte. Kaum erwähnt wurde dabei, dass nur 16 Prozent die Mitgliedschaft als explizit “schlechte Sache” bewerten, während ein großer Anteil von 39 Prozent sie neutral sieht. Ebenso wenig wurde berichtet, dass die Zahl jener, die die Mitgliedschaft für eine “gute Sache” halten, in den vergangenen zehn Jahren schrittweise gestiegen ist – wenn auch auf niedrigem Niveau. Den viel zitierten abrupten Verfall der heimischen EU-Stimmung gibt es schlicht nicht.
Das bestätigen auch die Umfragedaten der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Bei der Gretchenfrage “Bleiben oder wieder austreten?” waren in 56 österreichweiten Befragungen seit 1995 die Befürworter der EU-Mitgliedschaft stets in der Mehrheit. Aktuell sind fast drei Viertel der Österreicher für den Verbleib und 17 Prozent für einen Austritt. Seit der Brexit-Entscheidung hat die Zustimmung deutlich zugelegt. Nicht unbedingt aufgrund einer verbesserten Performance der EU, sondern wegen eines immer instabileren internationalen Umfelds. Eine Mehrheit ist sich bewusst, dass die großen Herausforderungen eben nicht nationalstaatlich gelöst werden können.

Letztlich ist es keine Frage des Ob, sehr wohl aber des Wie, wenn es um die EU-Mitgliedschaft geht. Denn Handlungsbedarf gibt es zu Genüge: Das Fehlen einer einheitlichen Zukunftsvision, das sich in Trennlinien zwischen Nord und Süd in puncto Ausgestaltung der Eurozone manifestiert sowie zwischen West und Ost in Asyl-, Migrations- und Wertefragen, schwächt das Vertrauen in eine stark mit sich selbst beschäftigte Union. Die EU muss sich nach innen wie nach außen neu positionieren. Denn sie kann die in sie gesetzten hohen Erwartungen so nicht erfüllen, dafür ist der Dissens unter den nationalen Regierungen zu groß. Sparefrohs in etlichen EU-Hauptstädten verwehren der Union die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen finanziellen Mittel, zugleich wird sie gerne als Sündenbock für Fehlentwicklungen und ausbleibende Reformen gerügt, wobei die eigene Rolle im EU-Entscheidungsfindungsprozess dezent verschwiegen wird. Die Aushöhlung des europäischen Demokratiemodells in manchen Mitgliedstaaten, der Rückgriff auf einzelstaatliche Maßnahmen, die immer öfter mit EU-Recht kollidieren, das Festhalten an vermeintlich nationalstaatlicher Souveränität engen den Gestaltungsspielraum der EU noch weiter ein.

Will man von den aktuellen Ereignissen nicht überrollt werden, braucht es mehr politisches Commitment. Aber wer, außer Emmanuel Macron, hat derzeit schon den Mut, entscheidende Reformen nicht nur zu fordern, sondern auch umzusetzen und dafür offensiv zu werben? Während seines EU-Vorsitzes und angesichts der kommenden EU-Wahlen könnte etwa auch Österreich dazu beizutragen, die EU als Ganzes zu stärken. Wie? Zum Beispiel, indem man nicht nur die Probleme, sondern auch die Chancen der europäischen Integration diskutiert.