Zur veränderten Rolle des EU-Ratsvorsitzes: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Handlungsempfehlungen

  1. Die Erwartungen in den EU-Ratsvorsitz Österreichs, der vor allem koordinative Aufgaben beinhaltet, sollten nicht zu hoch gesteckt werden. Dennoch gilt es, die vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten voll auszuschöpfen – immerhin soll Österreich rund 190 Rechtsvorschriften zum Verhandlungsdurchbruch verhelfen.
  2. Darüber hinaus sollte Österreich jedenfalls den Anspruch stellen, den EU-Reformprozess weiter voranzutreiben. Damit würde auch das Ansehen des Landes gestärkt und – mit einer Intensivierung der EU-Debatte in Österreich – das öffentliche Interesse im Hinblick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament gesteigert sowie die EU-Stimmung weiter verbessert.
  3. Gleichzeitig gilt es, abseits der Sitzungsagenden, auf akute Entwicklungen und externe Ereignisse in Abstimmung mit allen europäischen Partnern rasch und umsichtig zu reagieren, mit dem Ziel, den Ratsvorsitz im Dienste Europas erfolgreich zu absolvieren.

Zusammenfassung

Am 1. Juli 2018 wird Österreich den Vorsitz im Rat der Europäischen Union für ein halbes Jahr übernehmen. Nach 1998 und 2006 hat Österreich somit zum dritten Mal den EU-Ratsvorsitz inne. Durch den Vertrag von Lissabon haben sich seit Dezember 2009 die Gestaltungsmöglichkeiten für das Vorsitz führende Land jedoch verändert. Die Schaffung des Präsidenten des Europäischen Rates und der Hohen Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Stärkung der Euro-Gruppe und auch die Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlaments haben den Einfluss des Vorsitzes reduziert. Wie viel Raum bleibt also noch, um eigene Akzente zu setzen? Und was bedeutet das für den bevorstehenden österreichischen EU-Ratsvorsitz?

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Zur veränderten Rolle des EU-Ratsvorsitzes:
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Für jeweils ein halbes Jahr führt jeder EU-Mitgliedstaat nach einem gleichberechtigten Turnus den Vorsitz im Rat der Europäischen Union.[1] Ab dem 1. Juli 2018 ist Österreich wieder an der Reihe und übernimmt somit nach 1998 und 2006 zum dritten Mal den EU-Ratsvorsitz.

Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 hat sich die Rolle des EU-Ratsvorsitzes jedoch deutlich verändert. Während eine Vielzahl an Verantwortlichkeiten zwar weiterhin in den Zuständigkeitsbereich des Vorsitzlandes fällt, haben sich insbesondere im Europäischen Rat, im Rat für Auswärtige Angelegenheiten, in der Funktionsweise der Euro-Gruppe als auch in der Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament wesentliche Veränderungen ergeben.

Im Europäischen Rat, in dem die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zusammenkommen, wird dies besonders deutlich. Denn in den Jahren 1998 und 2006 leiteten diesen noch Viktor Klima bzw. Wolfgang Schüssel. Mit dem Vertrag von Lissabon erhielt der Europäische Rat jedoch Organstatus und somit auch eine/n eigene/n Präsidentin/Präsidenten.[2] Seit dem 1. Dezember 2014 ist dies der Pole Donald Tusk, der versucht in seiner Rolle der Arbeit des Europäischen Rates Kontinuität und Kohärenz zu verleihen. Darüber hinaus finden die regulären Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs nun nicht mehr länger in den EU-Vorsitzländern, sondern ausschließlich in Brüssel statt.

Ebenso wurde mit dem Vertrag von Lissabon die Funktion des/der Hohen Vertreters/Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen.[3] Seit dem 1. November 2014 ist dies die Italienerin Federica Mogherini. Sie leitet die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, ist eine der VizepräsidentInnen der Kommission und führt darüber hinaus auch den Vorsitz im Rat für Auswärtige Angelegenheiten – vormals ebenso eine Kompetenz des Vorsitzlandes.

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde auch die Funktionsweise der Euro-Gruppe geregelt.[4] Ihr sitzt ebenfalls ein/e permanente/r PräsidentIn vor – seit 14. Jänner 2018 ist dies der Portugiese Mário Centeno. Den permanenten Vorsitz der Euro-Gruppe gibt es bereits seit 2004[5], allerdings ist ihre Rolle in den letzten Jahren massiv gewachsen. Als informelles Gremium kann sie zwar keine rechtskräftigen Beschlüsse fassen. In der Praxis jedoch segnen die MinisterInnen im Rat für Wirtschaft und Finanzen die zuvor in der Euro-Gruppe befassten Beschlüsse ab.

Auch das Europäische Parlament wurde durch die Ausweitung der gesetzgeberischen Zuständigkeiten gestärkt und in den meisten Politikbereichen, wie etwa auch bei Entscheidungen hinsichtlich des Haushaltsplans, dem Rat der Europäischen Union als Co-Gesetzgeber gleichgestellt. Im Vergleich zu früheren EU-Ratsvorsitzen bindet das Vorsitzland also das Europäische Parlament stärker ein, um im Trilog zwischen den Europäischen Institutionen zu vermitteln.

Eine weitere Änderung im Vergleich zu 1998 und 2006 ist die Schaffung des Dreiervorsitzes, auch als Team- oder Trio-Präsidentschaft bekannt, welcher seit
2007 angewendet wird, jedoch erst mit dem Vertrag von Lissabon 2009 eine europarechtliche Grundlage erhielt.[6] Angesichts des häufigen Wechsels im Vorsitz soll dieser für Kontinuität sorgen. Jeweils drei aufeinander folgende Länder erstellen demnach ein „Achtzehnmonatsprogramm“ und formulieren langfristige Ziele, mit denen sich der Rat in dem Zeitraum befassen wird. Auf der Grundlage dieses Programms stellt jedes der drei Länder sein eigenes detaillierteres Sechsmonatsprogramm auf. Die Etablierung des Dreiervorsitzes erfordert somit auch eine engere Abstimmung mit zwei weiteren EU-Ratsvorsitzen.[7] Im Falle Österreichs sind dies Estland und Bulgarien.[8] Zwei Länder, die jeweils zum ersten Mal den EU-Ratsvorsitz führ(t)en.

Welche Kompetenzen verbleiben dem Vorsitzland?

Auch wenn somit einige Kompetenzen im Vergleich zu 1998 und 2006 abgewandert sind, verbleiben im Vorsitzland zahlreiche Aufgaben. Denn neben dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten[9] tagt der Rat noch in 9 weiteren Formationen. Es sind dies folgende Ratszusammensetzungen:

Tabelle 1: Tagungen der Ratsformationen unter österreichischem Vorsitz

Quelle: Website des Rats der Europäischen Union: http://www.consilium.europa.eu/de/meetings/calendar /

Website des Österreichischen Ratsvorsitzes: https://www.eu2018.at/calendar-events/political-events.html

Für jede dieser Ratsformationen wird ab Juli 2018 ein/e andere/r österreichische/r MinsterIn den Vorsitz führen, als Vorsitzland wird Österreich die Sitzungen und Tagungen auf allen Ebenen des Rates leiten und für die Kontinuität der Agenda der EU sorgen. Bundesregierung und Beamtenschaft sind in diesem Zeitraum gefordert, die Beratungen des Rates über rund 190 EU-Rechtsvorschriften[10] voranzubringen, sich um den ordnungsgemäßen Verlauf der Gesetzgebungsverfahren zu kümmern und die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten zu unterstützen. Die Rolle als neutraler Vermittler ist dabei von entscheidender Bedeutung.[11]

Unter die Planung und Leitung der Tagungen des Rates und seiner Vorbereitungsgremien fallen etwa folgende Aufgaben:

  • die Erstellung von Tagesordnungen sowie die Festlegung der Themen für die Sitzungen des Rates, der zahlreichen Vorbereitungsgremien und Arbeitsgruppen;
  • die Leitung der Tagungen der oben genannten Ratsformationen sowie der Vorbereitungsgremien des Rates;
  • die Koordinierung der Positionen der Mitgliedsländer;
  • die Organisation verschiedener formeller und informeller Tagungen in Brüssel und dem eigenen Land.

Die zweite zentrale Aufgabe ist die Vertretung des Rates gegenüber den anderen EU-Organen. Dabei gilt es insbesondere in den sogenannten Trilogen mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament Gesetzesvorhaben abzuschließen.

Die zeitliche Begrenztheit auf sechs Monate, das jeweilige „Erbe“ des vorangegangenen Vorsitzes, externe Ereignisse sowie das legislative Initiativmonopol der Europäischen Kommission schränken den Gestaltungsspielraum eines EU-Ratsvorsitzes zwar ein und der Vorsitz muss per Definition neutral und unparteiisch handeln.[12] Trotzdem braucht es insbesondere Expertise und diplomatisches Geschick, um die Verhandlungen um die offenen Gesetzesvorhaben erfolgreich zu führen.

„Der Erfolg mißt [sic] sich weniger in der Durchsetzung eines nationalen Standpunktes als vielmehr am Fortschritt der europäischen Integration.“[13]

Tallberg[14] präsentiert folglich drei „agenda-shaping powers“, mit denen der Vorsitz sehr wohl – neben seiner koordinierenden Tätigkeit – auch politische Initiativen setzen kann:

  • Agenda-setting: Hier geht es einerseits darum, die Aufmerksamkeit auf gewisse Themen zu lenken und Debatten zu initiieren; andererseits Lösungsvorschläge gemeinsam mit der Europäischen Kommission zu erarbeiten.
  • Agenda-structuring: Auch mittels Prioritätensetzung von Themen auf der europäischen Agenda können nationale Interessen stärker einfließen. In der Praxis betrifft dies die Festlegung der Frequenz an Treffen innerhalb gewisser Politikfelder, die Einberufung von informellen Treffen und die Strukturierung der Tagesordnung bei Treffen.
  • Agenda exclusion: Andersrum können unerwünschte Themen explizit nicht angesprochen, Entscheidungen vertagt und Themen aus der Tagesordnung ausgeklammert werden.

Prioritäten des österreichischen Ratsvorsitzes

Während die Einschätzung, für ein halbes Jahr alles in der Hand zu haben, zwar eindeutig überzogen wäre, besteht also dennoch die Möglichkeit, europäische Akzente zu setzen. Dies wird bzw. sollte Österreich auch zu nutzen versuchen.

Während die Einschätzung, für ein halbes Jahr alles in der Hand zu haben, zwar eindeutig überzogen wäre, besteht also dennoch die Möglichkeit, europäische Akzente zu setzen. Dies wird bzw. sollte Österreich auch zu nutzen versuchen.

Im Einklang mit dem Achtzehnmonatsprogramm der Trio-Präsidentschaft Estland, Bulgarien und Österreich[15], die fünf Themenbereiche als Prioritäten nennt[16], hat die österreichische Regierung im März 2018 ihre Schwerpunkte für den Ratsvorsitz vorgestellt[17].

Der Ratsvorsitz wird dabei unter das Motto „Ein Europa, das schützt“ gestellt werden. Dies soll vor allem durch eine Verstärkung des Subsidiaritätsprinzips erreicht werden.[18] Die EU soll sich demnach ausschließlich auf große Fragen konzentrieren, wobei die österreichische Regierung hier drei Schwerpunktbereiche ortet:

  1. Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration: Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems; Verstärkung der Grenzschutzagentur FRONTEX; stärkere Zusammenarbeit mit Drittstaaten; effiziente Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten; Kampf gegen Terrorbedrohungen und Radikalisierung auf europäischer Ebene;
  2. Sicherung des Wohlstands und der Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung: digitaler Binnenmarkt; Modernisierung der öffentlichen Verwaltung; erneuerte Industriepolitik; Vermeidung von Überregulierung; Bekämpfung von schädlichem Steuerwettbewerb und Steuervermeidung; Besteuerung der digitalen Wirtschaft;
  3. Stabilität in der Nachbarschaft – Heranführung des Westbalkans / Südosteuropas an die EU: Förderung guter Beziehungen zwischen der EU und ihren Nachbarn mit Schwerpunkt Westbalkan / Südosteuropa.

Während die oben (in Tabelle 1) aufgelisteten offiziellen Ratstreffen allesamt in Brüssel oder Luxemburg stattfinden werden, wird es insgesamt auch 13 informelle Tagungen auf MinisterInnenebene[19], einen informellen Gipfel sowie an die 300 Vorsitz-Veranstaltungen in Österreich geben.[20] Die Koste
n des gesamten Vorsitzes sollen sich offiziell auf rund 43 Mio. Euro belaufen[21] und jedenfalls im Budgetrahmen von 2006 – damals betrugen die Kosten 86 Millionen Euro[22] – bleiben[23]. Das „Highlight“ des österreichischen Ratsvorsitzes wird der informelle EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 20. September 2018 in Salzburg sein. Dieser soll sich vor allem dem ersten Schwerpunkt („Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration“) widmen.

Gerade im Hinblick auf den Mehrjährigen Finanzrahmen wird Österreich realistischerweise gerne den Ball an den nachfolgenden rumänischen Vorsitz weiterreichen, da die eigene Position mit jener der EU-Institutionen durchaus divergiert.

Darüber hinaus stehen mit den Budgetverhandlungen für den Mehrjährigen Finanzrahmen ab 2020 sowie mit dem geplanten Abschluss der Verhandlungen über den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs im Oktober diesen Jahres zwei enorme europäische Herausforderungen auf der Tagesordnung. Gerade im Hinblick auf den Mehrjährigen Finanzrahmen wird Österreich realistischerweise gerne den Ball an den nachfolgenden rumänischen Vorsitz weiterreichen, da die eigene Position mit jener der EU-Institutionen durchaus divergiert. Ebenso ist der Beginn der Indexierung der österreichischen Familienbeihilfe für Eltern, deren Kinder nicht in Österreich leben, bewusst mit Jänner 2019 festgelegt, um den reibungslosen Ablauf des Ratsvorsitzes so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Die Brexit-Verhandlungen wiederum werden von EU-Chefverhandler Michel Barnier geführt und Österreich ist nicht direkt involviert. Trotzdem wird letztlich der Europäische Rat über das Verhandlungsergebnis zu befinden haben und der Präsident des Europäischen Rates – unterstützt von und in Abstimmung mit dem Vorsitzland – eventuell zwischen unterschiedlichen Standpunkten vermitteln müssen. Ein nicht auszuschließendes „No Deal“-Szenario könnte auch den Vorsitz unter Druck bringen und an den Finanzmärkten zu Reaktionen führen. Auch die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 werden den österreichischen Vorsitz auf Trab halten. Mit Ende des Jahres werden die europäischen SpitzenkandidatInnen gekürt und mit dem Ende der Legislaturperiode des Parlaments – der Zeitraum des österreichischen Ratsvorsitzes ist dabei das letzte „voll aktive Halbjahr“ vor den Wahlen – ist der politische Druck, möglichst viele der rund 190 offenen Dossiers erfolgreich abzuschließen, hoch. Der Erfolg der Präsidentschaft wird auch daran gemessen werden.

EU-Ratsvorsitz: Zeit zum Gestalten oder Schein als Sein?

Ganz generell gilt es die Erwartungen an den EU-Ratsvorsitz sowohl auf politischer als auch auf medial-öffentlicher Seite nicht zu hoch zu stecken. Denn sowohl die Planung und Leitung der Tagungen des Rates und seiner zahlreichen Vorbereitungsgremien als auch die Vertretung des Rates gegenüber anderen EU-Organen fordern den Vorsitz allem voran administrativ, koordinativ und vermittelnd und in geringerem Ausmaß gestalterisch heraus. Dennoch können Akzente gesetzt werden und gerade für kleine Mitgliedstaaten bleibt der Ratsvorsitz eine gute Gelegenheit, sich europapolitisch zu profilieren.

Selbst im Europäischen Rat ist dies immer noch möglich, wie etwa die beiden vorangegangenen Vorsitzländer Estland und Bulgarien gezeigt haben. Estland etwa organisierte ein „Digitales Gipfeltreffen“ in Tallinn und legte dabei den Fokus auf sein Kernthema Digitalisierung.[24] Neben dem Treffen der Staats- und Regierungschefs wurden auch zahlreiche Konferenzen, Informationsveranstaltungen und sogar Kulturevents zu diesem Thema angeboten. Bulgarien wiederum setzte den Schwerpunkt des Sofia Summits auf die für es wichtige Annäherung der Westbalkanländer an die EU.[25]

Gleichzeitig zeigte gerade der informelle Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Sofia, dass die Kompetenz des Vorsitzlandes bei diesen Treffen maximal darauf beruhte, Akzente zu setzen. Denn den Vorsitz selbst führt der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk. Auch bei den Gipfeltreffen in den Vorsitzländern sind daher vor allem die Leaders‘ Agenda[26] der EU-Führungsspitzen sowie zu einem erheblichen Ausmaß tagesaktuelle Ereignisse entscheidend. So fand die Priorität „Annäherung der Westbalkanländer an die EU“ zwar ihren Weg in die Schlussfolgerungen und auch in etliche Medienberichte – politisch brisanter war jedoch die Debatte über den Ausstieg der USA aus dem Iran-Abkommen und eine mögliche europäische Antwort darauf.[27]

Gerade hier offenbart sich allerdings auch die Fähigkeit eines EU-Ratsvorsitzes, auf externe und tagesaktuelle Ereignisse und Divergenzen zwischen den EU-Hauptstädten angemessen reagieren zu können.

Gerade hier offenbart sich allerdings auch die Fähigkeit eines EU-Ratsvorsitzes, auf externe und tagesaktuelle Ereignisse und Divergenzen zwischen den EU-Hauptstädten angemessen reagieren zu können. Zwar wird auch diese Aufgabe vom Präsidenten des Europäischen Rates Tusk als auch der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Mogherini abgefangen. Dennoch gilt es auch in etlichen anderen Ratsformationen, etwa in der Handelspolitik, immer wieder auf tagesaktuelle Ereignisse zu reagieren.

Sicher ist jedenfalls, dass der EU-Ratsvorsitz in eine herausfordernde und für die Europäische Integration kritische Zeit fällt. In Krisensituationen ist das Vorsitzland gefordert, auf unerwartete Ereignisse rasch und in Abstimmung mit allen europäischen Partnern zu reagieren.

Der vorhandene Gestaltungsspielraum wiederum sollte bestmöglich ausgenützt werden. Österreich wird bei seinem informellen Ratsgipfel mit dem Fokus auf „Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration“ zweifelsohne ein Thema aufgreifen, bei dem sich breite Teile der österreichischen und europäischen BürgerInnen mehr gemeinsame Handlungen auf europäischer Ebene wünschen[28]. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, dass der Europäische Rat in seinem Juni-Gipfel zu keiner Einigung hinsichtlich einer Neuregelung des europäischen Asyl- und Migrationssystems kommen wird[29]. Eine Verlagerung in den Zeitraum des österreichischen Vorsitzes könnte diesem Schwerpunkt also zusätzlich Relevanz verleihen.

Dass die österreichische Forderung nach mehr Subsidiarität – auch in diesem Bereich – nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg sein kann, liegt auf der Hand. Neben der Organisation verschiedener Veranstaltungen und Konferenzen zum Thema Subsidiarität sowie einem möglichen Subsidiaritätspakt[30], werden in diesem Zeitraum auch die ersten Ergebnisse der im November 2017 vom 1. Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Frans Timmermans eingesetzten Task Force für Subsidiarität[31] ab dem 15. Juli 2018 mit Spannung erwartet.

Generell wäre Österreich aber gut beraten, jenseits der Subsidiaritätsdebatte, die ja schon in Gange ist, selbst europäische Themen anzustoßen.

Generell wäre Österreich aber gut beraten, jenseits der Subsidiaritätsdebatte, die ja schon in Gange ist[32], selbst europäische Themen anzustoßen. Denn die aktuell durchaus positive Stimmungs- und Wirtschaftslage in Europa sollte für längst nötige Reformen genützt werden. Erwartet wird, dass die Debatte um die Zukunft Europas nicht nur administriert, sondern vorangebracht wird. In diesem Zusammenhang könnte Österreich Themen wie die Vertiefung der Eurozone, Steuergerechtigkeit, Maßnahmen zur Beseitigung der sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede der Mitgliedstaaten
sowie den verstärkten Austausch zwischen Jugendlichen an europäischen Schulen und Universitäten ansprechen. Für eine weitere thematische Schwerpunktsetzung bietet sich u.a. auch  der Klima- und Umweltschutz an. Gerade im Falle des Klimaschutzes könnte Österreich, mit der Forderung nach einer ambitionierteren Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, eine aktuell praktisch vakante Position besetzen und eine der drängendsten globalen Herausforderungen unserer Zeit in den Fokus nehmen.

Europa hat wieder Wind in den Segeln. Aber wir werden nur vom Fleck kommen, wenn wir diesen Wind nutzen“, meinte Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union im letzten Jahr.[33] Der österreichische Ratsvorsitz könnte dazu beitragen, die Segeln noch rechtzeitig vor den kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament zu hissen und dem europäischen Reformtempo die dringend notwendige Dynamik verleihen.

[1] Vertrag über die Europäische Union, Art. 16, Abs. 9.: https://dejure.org/gesetze/EU/16.html.

[2] Vertrag über die Europäische Union, Art. 15, Abs. 6: https://dejure.org/gesetze/EU/15.html.

[3] Vertrag über die Europäische Union, Art. 18 https://dejure.org/gesetze/EU/18.html.

[4] Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Art. 137, Verweis auf Protokoll (Nr. 14) betreffend die Euro-Gruppe: http://www.consilium.europa.eu/media/20405/protocol-14-de.pdf.

[5] Die Funktionsweise wurde zwar erst mit dem Vertrag von Lissabon geregelt, das Gremium wurde jedoch bereits 1998 im Nachgang zum Europäischen Rat in Luxemburg eingerichtet: http://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/eurogroup/.

[6] Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erhielt die Trio-Präsidentschaft 2009 durch einen Beschluss des Europäischen Rates auch eine europarechtliche Grundlage: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:02009D0908-20091201&qid=1403343248721&from=DE.

[7] Website des Rats der Europäischen Union: http://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/presidency-council-eu/.

[8] Die nächste Trio-Präsidentschaft, bestehend aus Rumänien, Finnland und Kroatien, wird darüber hinaus ihr Achtzehnmonatsprogramm voraussichtlich schon im Juni 2018 – also noch vor dem österreichischen Vorsitz – fixieren. Auch hier gilt es also einen gewissen Übergang anzustreben.

[9] Der Rat für Auswärtige Angelegenheiten (FAC) wird im Zeitraum Juli – Dezember 2018 sieben Mal zusammenkommen. Den Vorsitz darin führt jedoch die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini.

[10] Der Standard: Regierung präsentiert Programm für Österreichs EU-Ratsvorsitz: https://derstandard.at/2000075754832/Oesterreichische-EU-Gipfel-in-der-Provinz.

[11] Website des Rats der Europäischen Union: http://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/presidency-council-eu/.

[12] Weber, S. (2010): Zwischen Design, Dialog und Dienstleistung. Zur politischen Kommunikation der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft 2006. Uni Wien. S. 59.

[13] Puntscher Riekmann, S. (1998): Management gegen Vision? Zu einem falschen Widerspruch der österreichischen EU-Präsidentschaft. In: Europäische Kommission, Vertretung in Österreich: Österreichs Vorsitz im Rat der Europäischen Union. In: Die Union. Vierteljahreszeitschrift für Integrationsfragen. 2/98. S. 33.

[14] Tallberg, J. (2003): The agenda-shaping powers of the EU Council Presidency. Journal of European Public Policy 10. S.1.

[15] Generalsekretariat des Rates: Die strategische Agenda voranbringen, Achtzehnmonatsprogramm des Rates (1. Juli 2017 bis 31. Dezember 2018), 2. Juni 2017: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9934-2017-INIT/de/pdf.

[16] 1. Eine Union für Arbeitsplätze, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit; 2. Eine Union, die jeden ihrer Bürger befähigt und schützt; 3. Auf dem Weg zu einer Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimapolitik; 4. Eine Union der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; 5. Die Union als starker globaler Akteur.

[17] Bundeskanzleramt Österreich / Bundesministerium für Öffentlichen Dienst und Sport: EU-Ratsvorsitz 2018, Inhaltliche Vorbereitungen: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/documents/131008/722986/11_14_mrv.pdf/bb50a01a-c98f-489e-a67b-1a15097b752c.

[18] Ibid.

[19] Eine Übersicht der 13 informellen Tagungen finden Sie hier: https://oegfe.at/wordpress/wp-content/uploads/2018/06/Informelle-Ratstreffen.pdf.

[20] Website des Österreichischen Ratsvorsitzes: https://www.eu2018.at/calendar-events/political-events.html.

[21] Der Standard: Regierung präsentiert Programm für Österreichs EU-Ratsvorsitz: https://derstandard.at/2000075754832/Oesterreichische-EU-Gipfel-in-der-Provinz.

[22] Website des Österreichischen Parlaments: Bilanz der österreichischen Ratspräsidentschaft: https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2006/PK0686/.

[23] Die Presse: Rechenspiele – Österreichs teure EU Ratspräsidentschaft: https://diepresse.com/home/innenpolitik/5440201/Rechenspiele_Oesterreichs-teure-EURatspraesidentschaft.

[24] Website des estnischen EU-Ratsvorsitzes: https://www.eu2017.ee/de/political-meetings/digitales-gipfeltreffen-der-europaeischen-union.

[25] Website des Europäischen Rates: Treffen EU-Westbalkan in Sofia, 17.05.2018:  http://www.consilium.europa.eu/de/meetings/international-summit/2018/05/17/.

[26] Website des Europäischen R
ates: Agenda der EU-Führungsspitzen: http://www.consilium.europa.eu/de/policies/tallinn-leaders-agenda/.

[27] EU Observer: Sofia summit: EU leaders search for a Trump strategy: https://euobserver.com/foreign/141842.

[28] ÖGfE-Umfrage: EU-Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage – Verhaltene Erwartungen der ÖsterreicherInnen: http://oegfe.at/2015/09/oegfe-umfrage-eu-sondergipfel-zur-fluechtlingsfrage-verhaltene-erwartungen-der-oesterreicherinnen-fragedesmonats/;
Autumn 2016 Standard Eurobarometer: Immigration and terrorism continue to be seen as the most important issues facing the EU: https://ec.europa.eu/home-affairs/news/autumn-2016-standard-eurobarometer-immigration-and-terrorism-continue-be-seen-most-important_en.

[29] Website des Europäischen Rates: Tagung des Europäischen Rates, 28./29.6.2018: http://www.consilium.europa.eu/de/meetings/european-council/2018/06/28-29/.

[30] Siehe u.a. 247/AB  Beantwortung der parlamentarischen Anfrage 249/J bezgl. „Der von der Bundesregierung angestrebte Subsidiaritätspakt“: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_00247/imfname_688330.pdf.

[31] Die Taskforce für Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit setzt sich zusammen aus dem Ersten Vizepräsidenten der Kommission Frans Timmermans, sowie jeweils drei Mitgliedern aus nationalen Parlamenten, dem Europäischen Parlament und dem Ausschuss der Regionen: https://ec.europa.eu/germany/news/20171114-Taskforce_de.

[32] Abgesehen von der Taskforce für Subsidiarität hat etwa Kommissionspräsident Juncker bereits zu Beginn seiner Amtszeit 2014 betont, er meine es Ernst wenn er sage, die EU müsse groß in großen Dingen und klein in kleinen Dingen sein.

[33] Juncker-Rede zur Lage der Union 2017: Den Wind in unseren Segeln nutzen: https://ec.europa.eu/germany/news/20170913-juncker-rede-zur-lage-der-union-2017_de.

Schlagworte:

EU-Ratsvorsitz, Ratspräsidentschaft, Vertrag von Lissabon, Subsidiarität, Reformen, Zukunft Europas

Zitation

Schmidt, P., Breinschmid, C. (2018). Zur veränderten Rolle des EU-Ratsvorsitzes: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Wien. ÖGfE Policy Brief, 09’2018

Mag. Paul Schmidt 

Mag. Paul Schmidt (*1975) ist seit September 2009 Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE). Davor war er für die Oesterreichische Nationalbank in Wien und in Brüssel tätig. Er studierte Internationale Beziehungen, Politikwissenschaften und Publizistik an Universitäten in Österreich, Spanien sowie den USA und ist Alumni der Diplomatischen Akademie in Wien.

Christoph Breinschmid, M.A.

Christoph Breinschmid, M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektmanager bei der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.