EU-Ratsvorsitz – wann ist er ein Erfolg? (Gastkommentar Paul Schmidt, Kurier)

Gerade erst hat Österreich das EU-Staffelholz von Bulgarien übernommen. Aber schon jetzt stehen wir als neues Vorsitzland mit den Brexit- und Haushaltsverhandlungen und den ungelösten Fragen von Asyl und Migration vor etlichen Hürden, die ohne zu straucheln gemeinsam übersprungen werden sollten. Der Erfolg unserer „Halbjahres-Präsidentschaft“ misst sich jedoch nicht allein darin, hier Fortschritte zu erzielen. In Zeiten, in denen immer mehr Mitgliedstaaten den Segen in nationalstaatlichen Lösungensuchen, braucht es vor allem auch neue Impulse, Sinn und konkreten Nutzen der europäischen Integration wieder in den Mittelpunkt zu rücken.
Sieht man sich das Stimmungsbild in der Bevölkerung an, wären die Voraussetzungen dafür gar nicht schlecht. Die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft ist derzeit hoch. Drei Viertel möchten, dass Österreich Teil der Union bleibt. Eurobarometer-Befragungen zeigen, dass nur 45 Prozent der Österreicher – damit liegen wir unter EU-Durchschnitt – die Mitgliedschaft für eine gute Sache halten, allerdings geht der Trend seit zwei Jahren kontinuierlich nach oben.

Parallel dazu ist die Zahl jener, die die Mitgliedschaft
als schlechte Sache sehen, gegenüber Herbst 2015 um rund die Hälfte auf 16 Prozent gesunken. Auch bei der Frage, ob Österreich Vorteile aus der EU-Mitgliedschaft hat, liegen wir traditionell im unteren europäischen Drittel, aber auch hier ist ein positiver Stimmungswandel zu erkennen. Die Europäische Union, die oft als fern und abstrakt wahrgenommen wird, rückt in den kommenden Monaten buchstäblich näher an uns heran: Österreich steht verstärkt im Zentrum der Aufmerksamkeit und ist Gastgeber Europas. Eine Gelegenheit, die so schnell nicht wieder kommt. Das Land sollte sich daher als pro-aktiver Ideengeber präsentieren und abseits des monothematischen Sicherheitsdiskurses zu einer breiten Zukunftsdiskussion über Europa einladen.

Aktiv einbinden

Dabei sollte auch die Bevölkerung eingebunden sein: Etwa indem man die 13 informellen Ratstreffen sowie den EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs nützt, um quer durch alle Bundesländer Bürgerdialoge zu organisieren und einen direkten Austausch mit EU-Kommissaren und -Parlamentariern, Regierungschefs und Ministern aus den diversen Mitgliedsländern zu ermöglichen. Das wäre ein sichtbarer Beitrag, Europa während des Ratsvorsitzes aus den Sitzungszimmern auch zu den Menschen zu bringen, die nationale Nabelschau zu beenden und so manches (Vor-)Urteil zu entkräften. Europäische Kompromisse zu finden und diese zu vermitteln, sollte dem österreichischen Ratsvorsitz eigentlich liegen. Die nächsten Monate bieten ausreichend Möglichkeiten, der Kritik an mangelnder Bürgernähe entgegenzuwirken und – mit Blick auf die Europawahlen – das öffentliche Interesse an Europa zu steigern.
Gelingt dies, wäre der EU-Ratsvorsitz jedenfalls ein Erfolg.