Aus den Augen, aus dem Sinn – die zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes

Handlungsempfehlungen

  1. Die Auslagerung des EU-Migrations- und Grenzregimes bedarf klarer Zuständigkeiten. Die bisherige „Kakophonie“ an Institutionen und Mitgliedstaaten sollte reduziert werden.
  2. Die bisherige Finanzierung durch einfaches Umwidmen bestehender Finanzmittel muss auf eigene Beine gestellt werden. Dazu gehört auch eine vollständige Kontrollmöglichkeit durch das Europaparlament.
  3. Externalisierung darf nicht auf Kosten von Entwicklungspolitik geschehen. Auf die Einhaltung menschenrechtlicher Standards muss bei der Auswahl der „Externalisierungs-Projekte“ geachtet werden.

Zusammenfassung

Ähnlich einem mittelalterlichen Burgherrn errichtet die Europäische Union in ihrem Vorfeld eine Art Cordon sanitaire – einen vorgelagerten Sicherheitsgürtel jenseits der EU-Außengrenzen, der eine besondere Art der Zusammenarbeit mit Drittstaaten etabliert.

Die Hauptlast bei der Überwachung der EU-Außengrenzen liegt dabei bei nichteuropäischen Ländern. Kontrollen und Zurückweisungen finden demnach nicht nur auf dem Territorium der EU-Mitgliedstaaten, sondern durch diese Kooperation auch schon auf Territorien von Drittstaaten statt. Mit dieser Verschiebung der Grenzkontrollen und weiteren Maßnahmen der Abschottung gegenüber unerwünschten Personengruppen, vermeidet die EU rechtliche und politische Unannehmlichkeiten auf eigenem Boden. Dieses Überwälzen von Problemlösungen wird sukzessive auf weitere „sicherheitsrelevante“ bzw. „sensible“ Politikbereiche ausgeweitet.

Im Wesentlichen besteht diese „Externalisierung“ in einem flexiblen Abwehrmechanismus, der auf immer weiter von der EU-Grenze entfernte Gebiete ausgedehnt wird. Zentrale Elemente dieses Konzepts sind einerseits die Auslagerung von Aufgaben (etwa der Grenzkontrollen), andererseits die Etablierung gewollter einschlägiger Rechts- und Verwaltungsstrukturen in den betreffenden Ländern.

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Aus den Augen, aus dem Sinn – die zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes

Die externe EU-Migrationspolitik und der damit verbundene Außengrenzschutz setzen immer mehr auf Externalisierung und Exterritorialisierung.

Ob vorgelagerte Grenzkontrollen oder die Schaffung von Internierungslagern in Afrika und schließlich die Etablierung einer allumfassenden Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur für einen ganzen Nachbarkontinent – zunehmend geht es um die Lösung europäischer Probleme bereits im Vorfeld. Bedrohungen jeglicher Art sollen möglichst früh, idealerweise bereits im Entstehen weit weg vom eigenen Territorium, abgewendet werden. Dafür wurde ein komplexes Externalisierungs-System, inklusive ausgefeilter Anreiz- und Bestrafungsmechanismen geschaffen. Mit dem Prozess der Externalisierung entgrenzen und diffundieren die traditionellen Elemente der Staatlichkeit und eine neue Art von Regierungstechnologie, die über ein bestimmtes staatliches Territorium hinausgeht, entsteht.[1] Damit einher gehen Prozesse der Exterritorialisierung, die allesamt so beschrieben werden können: „the link between policy and territory and sovereignty, in the sense that policy-making decisions, and the implementation and outcomes of this policy, differ territorially.[2] Parallel dazu verwischt die Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Die Bedeutung der sogenannten externen Dimension interner Sicherheit nimmt zu. Das Konzept der Externalisierung wird dabei zu einem allgemein einsetzbaren und flexiblen Abwehrmechanismus, der auf immer weiter von der EU-Außengrenze entfernte Gebiete ausgedehnt wird. Im Rahmen dieser Entwicklung verwandelt sich die bisher als wohlwollender Hegemon agierende EU zu einem ziel- und zweckorientiert agierenden imperialen Akteur.

Die externe Migrationspolitik der EU

Mit Anfang der 2000er Jahre hat die externe Migrationspolitik der EU eine große Zahl unterschiedlicher Instrumente und Abkommen entwickelt, die die Tendenz zur Externalisierung zunehmend verstärken und zu einer Verlagerung migrationspolitischer Kontrollen und Restriktionen in Drittstaaten führen[3]. Darüber hinaus lassen sich seit 2015 drei neue Trends ausmachen: (1) eine regionale Verschiebung der migrationspolitischen Zusammenarbeit weg aus dem unmittelbaren, direkten EU-Nachbarschaftsraum hin zu weiter entfernten Herkunfts- uns Transitstaaten mit dem Fokus auf die Nachbarstaaten Syriens und den afrikanischen Kontinent; (2) eine wachsende Instrumentalisierung der EU-Entwicklungspolitik für migrations- und sicherheitspolitische Interessen und (3) eine schleichende Renationalisierung der EU-Entwicklungspolitik.[4]

Hatten noch der „Gesamtansatz Migration“ (GAM, 2005) wie auch der „Gesamtansatz Migration und Mobilität (GAMM, 2012) auf eine möglichst effiziente Steuerung von Personenbewegungen inklusive der Einführung von Konzepten der „zirkulären Migration“ abgezielt, so ändert sich dieser Ansatz grundlegend mit dem Beschluss der EU-Migrationsagenda. Im Juni 2016 unterzeichneten zwar fünf wichtige afrikanische Herkunfts- und Transitländer[5] sogenannte „Migrationspartnerschaften“. Mit den bis dahin bekannten und geschlossenen „Mobilitätspartnerschaften“ hatten diese neuen Abkommen jedoch nichts mehr gemein.[6] Die bislang jeweils enthaltene Öffnung legaler Zuwanderungsmöglichkeiten blieb ausgespart.

Dieser markante Richtungswechsel verdeutlicht, dass die EU bei ihrer externen Migrationspolitik, die früher stets eine Perspektive zur legalen Zuwanderung enthielt, nun nur noch auf finanzielle Anreize bei Wohlverhalten setzt.

Dieser markante Richtungswechsel verdeutlicht, dass die EU bei ihrer externen Migrationspolitik, die früher stets eine Perspektive zur legalen Zuwanderung enthielt, nun nur noch auf finanzielle Anreize bei Wohlverhalten setzt. Als Wohlverhalten gilt, irreguläre Abwanderung einzuschränken und jedenfalls Menschen zurückzunehmen, die das Land auf diesem Weg verlassen haben. Dies soll in jeweils rechtlich bindenden Rückübernahmeabkommen festgeschrieben werden. Mit der Hinwendung zu finanziellen Anreizen geht offensichtlich auch eine Abkehr von den zuvor jeweils prominent angekündigten Transformationsagenden einher. Der Fokus auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit scheint nicht mehr dieselbe Bedeutung einzunehmen.[7] Wichtig erscheint vielmehr die Bereitschaft bei der sogenannten Abwehr illegaler Migration mitzuwirken. Dass damit aber auch gleichzeitig die Hemmschwelle für die migrationspolitische Kooperation mit autoritären und fragilen Staaten sinkt, ist die Kehrseite der Medaille. Wie jüngst nachgewiesen, haben die autoritäre Eliten in den betreffenden Staaten Afrikas dies jedenfalls erkannt: Wer bereit ist, die von der EU geforderte migrationspolitische Kooperation einzugehen, darf mit weniger Druck in der Frage der politischen Transformation rechnen.[8]

Lagerkonzept

Ein weiteres zentrales Element im Externalisierungsprozess ist das sogenannte Lagerkonzept[9] – eine Maßnahme, um internationale Migranten an der Einreise in die EU zu hindern oder zurückgeschobene Migranten zu internieren. Es verwundert auch keineswegs, dass der aktuelle österreichische Bundeskanzler Kurz (wie schon sein Vorgänger Kern im Jahr zuvor[10])  gerade die Einrichtung solcher Lager (möglichst weit im Vorfeld der eigentlichen EU-Außengrenzen) fordert. Österreich ist traditionell ein vehementer Verfechter dieses Konzepts: Bereits 2006 hat die damalige Innenministerin Liese Prokop während der damaligen österreichischen EU-Ratspräsidentschaft mit einem diffusen Lagerkonzept dafür Stimmung gemacht. Als sie auf Widerstand und Ablehnung stieß, verlor sie zwar schnell wieder das Interesse daran. Im Rahmen der Vorbereitungen auf die österreichische EU-Ratspräsidentschaft ab 1. Juli 2018 hat man aber jedenfalls in Österreich auf die „alte Innovation“ zurückgegriffen.

Spätestens nach den bereits gemachten internationalen Erfahrungen mit dem Lagerkonzept sollte sich aber jegliche politische Diskussion darüber erledigt haben.

Spätestens nach den bereits gemachten internationalen Erfahrungen mit dem Lagerkonzept sollte sich aber jegliche politische Diskussion darüber erledigt haben: Die Kooperation mit Libyen während des Regimes von Muammar al-Gaddafi endete in einer Katastrophe, und auch das immer wieder zitierte australische Modell mit Internierungslagern auf vorgelagerten Pazifikinseln ist gescheitert. Trotz massiver finanzieller Anreize findet sich kein Land für ein Umsiedlungsabkommen. Flüchtlinge und MigrantInnen, die dort leben – teilweise schon seit Jahren –, müssen gegen ihren Willen festgehalten werden. In der neuerlichen Diskussion um solche Lager bleiben die BefürworterInnen des Konzepts die zentrale Antwort nach dem konkreten Standort für solche Einrichtungen jedenfalls noch schuldig.

Ringen um Kohärenz und zusätzliche Mittel

Die Zuständigkeitsbereiche und Kompetenzen beim laufenden Externalisierungsprozess sind außen-, sicherheits-, entwicklungs- und wirtschaftspolitisch nicht immer klar voneinander abgegrenzt. EU-Institutionen, Mitgliedstaaten, internationale Organisationen sowie diverse Durchführungsorganisationen verfolgen zu Weilen auch noch unterschiedliche Zielsetzungen. Innerhalb der EU-Kommission sind beispielsweise die Generaldirektionen Inneres (DG HOME), Nachbarschaft und Erweiterung (DG NEAR) sowie Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung (DG DEVCO) mit der Ausgestaltung der Migrationspolitik beschäftigt. Dazu kommt der Europäische Auswärtige Dienst (EAD), der weite Teile des Dialogs mit den betreffenden Drittstaaten abzudecken hat.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Finanzierung der diversen Projekte. Diese werden durch die Umwidmung von bereits in anderen Fonds und Budgetlinien vorgesehenen Geldern finanziert. Welche verschlungenen Wege die Geldmittel dabei machen, hat bereits vor einiger Zeit eine Untersuchung der EU-Externalisierungsmaßnahmen in Marokko gezeigt[11]. Dass dieser unübersichtliche und kaum noch nachvollziehbare Finanzierungsmix von Externalisierungsprojekten weiter anhält, zeigt eine jüngste Aufstellung der Geldquellen für den sogenannten Khartoum-Prozess. Hier soll – gemäß „Khartoum-Erklärung“ von 58 Staaten Europas und Afrikas – zur Bekämpfung der irregulären Migration und krimineller Netzwerke die Kooperation zwischen der EU und Herkunfts- sowie Transitländern intensiviert werden. Kooperiert wird dabei mit den Herkunftsländern Äthiopien, Sudan, Eritrea, Südsudan, Somalia und Djibouti sowie den Transitländern Libyen, Ägypten und Tunesien. Die Mittel dafür stammen insbesondere aus[12]:

  • Europäischer Entwicklungsfond, EEF
  • Regionales Indikativprogramme für West-, Zentral- und Ostafrika
  • Nationales Indikativprogramme für das Horn von Afrika
  • Finanzierungsinstrument für Entwicklungszusammenarbeit, DCI
  • Europäisches Nachbarschaftsinstrument, ENI

Aus den umgewidmeten Finanzmitteln wurde in der Folge im November 2015 im Rahmen des Migrationsgipfels in Valletta ein Europäischer Nothilfe-Treuhandfonds für die Stabilität in Afrika und die Bekämpfung der Ursachen irregulärer Migration[13] geschaffen. Tatsächlich handelt es sich aber keineswegs um „neues“, zusätzliches Geld. Es wurden vielmehr bestehende Entwicklungsgelder „umetikettiert“ und gebündelt.

Tatsächlich handelt es sich aber keineswegs um „neues“, zusätzliches Geld. Es wurden vielmehr bestehende Entwicklungsgelder „umetikettiert“ und gebündelt.

Der Treuhandfonds für Afrika (EUTF) verschafft den europäischen Institutionen zweifelsohne einen größeren Spielraum. Da der Fonds jedoch als Notfallmechanismus außerhalb des regulären EU-Budgets angesiedelt ist, hebelt er auch die normal geltenden, strikten Vergabeverfahren aus.

Bis zum März 2018 hat die EU-Kommission ihre Beiträge zum EUTF aus den unterschiedlichsten bestehenden Haushaltslinien jedenfalls auf drei Milliarden Euro erhöht. Davon stammen 2,3 Milliarden aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), der selbst nicht Teil des EU-Budgets ist und daher auch nicht der Zustimmung und Kontrolle des Europaparlaments unterliegt. Alle weiteren Mittel wurden aus dem regulären EU-Budget entnommen: 313 Millionen Euro aus dem Finanzierungsinstrument für Entwicklungszusammenarbeit (DCI), 226 Millionen Euro aus dem Budget der EU-Nachbarschaftspolitik, 77 Millionen Euro aus der Generaldirektion Inneres sowie 50 Millionen Euro aus der Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz (DG ECHO).[14]

Im Rahmen der Arbeiten am mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) für die Jahre
2021 bis 2027 hat nun die EU-Kommission am 14. Juni 2018 ihre Pläne für eine drastische Erhöhung der Ausgaben für die Migrationskontrolle präsentiert. Im Rahmen der Initiative „Nachbarschaft und die Welt“ werden die außenpolitischen Ausgaben des gesamten Blocks in einem einzigen Instrument zusammengefasst. Der Vorschlag sieht rund 9 Milliarden Euro für migrationsbedingte Ausgaben vor, wobei die Mittel gleichzeitig wieder aus verschiedenen Budgetbereichen entnommen werden sollen. In ersten Reaktionen äußerten zivilgesellschaftliche Gruppen allerdings die Befürchtung, dass die EU ihre Entwicklungsprioritäten im Rahmen des MFR herabstufen und stattdessen vermehrt Maßnahmen ergreifen will, die die Zahl der Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten, die nach Europa einwandern, verringern sollen.[15] Damit würden weiterhin Mittel der Entwicklungspolitik für die Externalisierung der EU-Migrationskontrolle und somit auch indirekt für den Außengrenzschutz zweckendfremdet.

Europäischer Rat vom 28. Juni 2018

Einen deutlichen Schritt Richtung Externalisierung und Exterritorialisierung machten die EU-Staats- und Regierungschefs in den Schlussfolgerungen zum Europäischen Rat vom 28. Juni.[16] Neben eher allgemeinen Formulierungen wie „Maßnahmen gegen von Libyen oder anderen Orten aus operierende Schleuser“, „Unterstützung für die Sahelzone, die libysche Küstenwache, Gemeinschaften an der Küste und im Süden“ oder „die Zusammenarbeit mit anderen Herkunfts- und Transitländern und die freiwillige Neuansiedlung zu verstärken“ finden sich auch sehr konkrete Externalisierungsschritte: Der Europäische Rat sprach sich etwa für ein Konzept „regionaler Ausschiffungsplattformen“ für auf See gerettete Menschen aus. Diese von dem UNHCR und der IOM vorgeschlagenen Plattformen sollen eine rasche und sichere Unterscheidung zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und Asylsuchenden ermöglichen. Die EU-Staats- und Regierungschefs kamen auch überein, 500 Millionen Euro von der Reserve des 11. Europäischen Entwicklungsfonds auf den EU-Treuhandfonds für Afrika zu übertragen. Schließlich sprachen sie sich darüber hinaus dafür aus, eine neue und spezielle Fazilität für das Management der externen Migration in den langfristigen Haushaltsrahmen der EU (MFR) aufzunehmen.

Alle nordafrikanischen Staaten sprachen sich umgehend gegen die angekündigten EU-Flüchtlingslager auf ihrem Territorium aus.

So beachtlich sich diese Schlussfolgerungen im ersten Moment lesen, so ernüchternd waren die umgehenden Reaktionen der betroffenen Drittstaaten. Alle nordafrikanischen Staaten – Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten – sprachen sich umgehend gegen die angekündigten EU-Flüchtlingslager auf ihrem Territorium aus. Offensichtlich hatte man im Brüsseler Gipfelüberschwang schlichtweg vergessen, mit den betroffenen Staaten im Vorfeld konkret darüber zu sprechen.[17]

Schlussbetrachtung

Die politische Fokussierung auf eine Reduktion der Zuwanderungszahlen (legal wie illegal) führt dazu, dass zunehmend Gelder der klassischen Entwicklungszusammenarbeit immer häufiger in den Dienst der „Fluchtursachenminderung“ gestellt werden. Dies ist jedoch nur bedingt sinnvoll. Die Möglichkeiten der Entwicklungspolitik, Wanderungsbewegungen überhaupt beeinflussen zu können, werden mit einer politischen Erwartungshaltung konfrontiert, die so niemals eingelöst werden kann. Für die Praxis der Entwicklungspolitik bedeutet dies zudem, dass sinnvolle langfristige strukturbildende Maßnahmen Platz machen müssen für kurzfristige Maßnahmen zur Migrationsverminderung und -vermeidung. Das Konzept einer sinnvollen Entwicklungspolitik wird damit zunehmend geschwächt. Gleichzeitig reduziert die Fixierung auf Migrationsvermeidung die Hemmschwelle für die Zusammenarbeit auch mit autoritären Regimen. Zusammengenommen ist zu befürchten, dass unter dem Schlagwort Fluchtursachenminderung lediglich Symptome bekämpft werden und keine Zeit und keine Mittel mehr zur Verfügung stehen, langfristige Strukturänderungen herbeizuführen.[18]

Zusammengenommen ist zu befürchten, dass unter dem Schlagwort Fluchtursachenminderung lediglich Symptome bekämpft werden und keine Zeit und keine Mittel mehr zur Verfügung stehen, langfristige Strukturänderungen herbeizuführen.

Die von der EU etablierte Strategie der Externalisierung, also der Versuch, die nach Europa strebenden Flüchtlingsströme und Migrationsbewegungen schon außerhalb der EU-Mitgliedstaaten in im Vorfeld ausgewählten Partnerstaaten – sei es nun aktuell die Türkei und demnächst wohl auch wieder verstärkt Libyen – aufzufangen, und so eine kontrollierte Zuwanderung bzw. Übernahme von Flüchtlingen zu schaffen, funktioniert allenfalls bedingt. Mit dieser Auslagerungspolitik konnte man bisher bestenfalls (kurzfristig) Zeit erkaufen. In diesem Kontext bedeutet daher auch die Bereitstellung von weiteren Millionen Euro für Projekte in wichtigen Ausgangs- und Transitländern nichts als einen weiteren Versuch teils zweifelhafter Externalisierung. Was damit aber ganz sicher verfestigt wird, ist die Versicherheitlichung der EU-Außenpolitik und im Speziellen die Unterwerfung der EU-Entwicklungspolitik unter das Primat der Sicherheitspolitik.

[1] STEFAN BROCZA: Europa stößt an seine Grenzen, Wiener Zeitung 21.4.2015, https://www.wienerzeitung.at/meinungen/leserforum/747681_Europa-stoesst-an-seine-Grenzen.html [3.7.2018]

[2] GEMMA AUBARELL, RICARDi ZAPATA-BARRERO, XAVIER ARAGALL: New Directions of National Immigration Policies: The Development of the External Dimension and its Relationship with the Euro-Mediterranean Process; EuroMesco Paper 79, 2009, S. 9. https://www.euromesco.net/wp-content/uploads/2017/10/200902-EuroMeSCo-Paper-1.79.pdf [3.7.2018]

[3] STEFAN BROCZA: Die Auslagerung des EU-Grenzregimes. Externalisierung und Exterritorialisierung, Promedia, 2015.

[4] DAVIS KIPP, ANNE KOCH: Auf der Suche nach externen Lösungen – Instrumente, Akteure und Strategien der migrationspolitischen Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten, in: ANNE KOCH, ANNETTE WEBER, ISABELLE WERENFELS (Hg.): Migrationsprofiteure? Autoritäre Staaten in Afrika und das europäische Migrationsmangement, SWP-Studie 3, April 2018, S. 9. https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S03_koc_web_wrf.pdf [3.7.2018]

[5] Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal

[6] Für eine Gesamtbewertung bisheriger Mobilitätspartnerschaften vgl. STEFAN BROCZA, KATHARINA PAULHART: EU mobility partnerships: a smart instrument for the externalization of migration control, European Journal of Futures Research 2015, https://doi.org/10.1007/s40309-015-0073-x [3.7.2018]

[7] DAVIS KIPP, ANNE KOCH a.a.O., 14.

[8] ANNE KOCH, ANNETTE WEBER, ISABELLE WERENFELS a.a.O., 7.

[9] Für eine ausführliche Darstellung des Lagerkonzepts vgl. STEFAN BROCZA, MARTINA JÄGER: EU-finanzierte Internierungslager in Libyen, in: STEFAN BROCZA a.a.O. 2015, 145-157 sowie STEFAN BROCZA, MARTINA JÄGER: Europas Flüchtlingspolitik gegen Libyen: einfach überfordert oder doch bewusst menschenverachtend? In: International – Zeitschrift für internationale Politik, 2011/2.

[10] STEFAN BROCZA: Wiederbelebung des EU-Lagerkonzepts? Wiener Zeitung 1.5.2017, https://www.wienerzeitung.at/meinungen/gastkommentare/889280_Wiederbelebung-des-EU-Lagerkonzepts.html [3.7.2018]

[11] MAGDALENA GASSNER: Praktische Implementierung. Die Anwendung des „Root Causes Approach“ in Marokko, in: STEFAN BROCZA 2015 a.a.O., S. 73-110.

[12] AMNESTY INTERNATIONAL: Der Karthoum-Prozess, 2017, S. 5 http://amnesty-sudan.de/amnesty-wordpress/wp-content/uploads/2017/02/KhartoumProzess_Externalisierung_der_Flüchtlingspolitik.pdf [3.7.2018]

[13] Näheres zum Fonds vgl. CLARE CASTILLEJO. Der Nothilfe Treuhandfonds der EU für Afrika und seine Auswirkungen auf die EU-Entwicklungspolitik, Analysen und Stellungnahmen 20/2017;

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) https://www.die-gdi.de/uploads/media/AuS_20.2017.pdf [3.7.2018]

[14] DAVIS KIPP, ANNE KOCH a.a.O., 15.

[15] BENJAMIN FOX: EU-Kommission will mehr Geld für Entwicklung – und gegen Migration, EURACTIV 14. Juni 2018, https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/eu-kommission-will-mehr-geld-fuer-entwicklung-und-gegen-migration/ [3.7.2018]

[16] Dokument EUCO 9/18 vom 28. Juni 2018, https://www.consilium.europa.eu/media/35938/28-euco-final-conclusions-de.pdf [3.7.2018]

[17] MARTIN GEHLEN: Reaktionen aus Afrika: „Unsere Antwort ist ein klares Nein“, Die Presse, 2 Juli 2018, https://diepresse.com/home/ausland/eu/5457562/Reaktionen-aus-Afrika_Unsere-Antwort-ist-ein-klares-Nein [3.7.2018]

[18] DAVIS KIPP, ANNE KOCH a.a.O., 18.

ISSN 2305-2635

Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.

Schlagworte

EU, Migration, Außengrenze, Auslagerung, Externalisierung.

Zitation

Brocza, S. (2018). Aus den Augen, aus dem Sinn – die zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes. Wien. ÖGfE Policy Brief, 13’2018

Hinweis

Zu diesem Policy Brief ist auch ein Gastkommentar in der Wiener Zeitung erschienen.

Stefan Brocza

Stefan Brocza, Studium in Wien, St. Gallen und Harvard. 1994 EU- und Schengen-Koordinierung im Innenministerium, ab 1996 im EU-Ratssekretariat in Brüssel (Außenwirtschaftsbeziehungen, Erweiterung, Presse/Kabinett, Umsetzung der EU-Außenstrategie für die innere Sicherheit). Aktuell tätig in Lehre und Forschung an Universitäten im In- und Ausland sowie als politischer Berater, Publizist und Gutachter.