Österreich auf der EU-Couch (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Mit einer auf Fakten basierenden EU-Diskussion in Österreich durchzudringen, ist nicht leicht. Stimmen, die der EU reserviert bis ablehnend gegenüberstehen, übertönen in ihrer Emotionalität nicht selten jene, die ihr neutral beziehungsweise mit Interesse begegnen. Dabei ist das EU-Meinungsbild der Österreicher durchaus differenziert und pragmatisch. Bei aller Kritik wird die EU-Mitgliedschaft mehrheitlich klar positiv gesehen: Ein Austritt war seit dem Beitritt in 23 Jahren nie Thema. Die Mitgliedschaft hat, so die überwiegende Mehrheitsmeinung, vor allem im wirtschaftlichen Bereich, aber etwa auch in puncto Sicherheit, mehr Vor- als Nachteile gebracht. Für grenzenloses Reisen, eine gemeinsame Währung und auch ihre Rolle zum Schutz von Demokratie und Grundwerten wird die EU sehr wohl geschätzt.

Trotzdem ist das heimische EU-Bild durchaus ambivalent, denn bei der Bewertung ihrer Funktionsweise hört sich die allgemeine Zufriedenheit rasch wieder auf: Langwieriges Krisenmanagement, mangelnde Problemlösung bei komplexen Interessenlagen, Zentralisierungs- und Identitätssorgen sowie der politisch-mediale Umgang mit einer EU, die an allem schuld zu sein hat, haben Spuren hinterlassen. Sie wird zwar mehrheitlich als friedensstiftend, sozial und demokratisch gesehen und mit Freiheit assoziiert, zugleich jedoch als schwach, fern und unsicher erlebt. Und das Vertrauen in den Euro muss sich auch erst wieder auf das Vorkrisenniveau zurückkämpfen. In Zukunft soll – nach Meinung der Österreicher – vor allem die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten gestärkt werden, die EU-Institutionen sollen sich weiter zurücknehmen.

Der sicherheitspolitisch dominierte Diskurs verunsichert bestenfalls und fördert damit vor allem neue Grenzen – nicht nur in den Köpfen. Der Umgang der EU mit Asyl und Migration wird mehrheitlich negativ beurteilt. Eine Ausweitung des Schengenraums, eine baldige Erweiterung oder eine Vertiefung der Eurozone wird abgelehnt. Und auch internationale Freihandelsabkommen à la Ceta sind in Österreich alles andere als beliebt. Die heimische Politik kann sich hier aber nicht aus der Verantwortung stehlen. So meint eine Mehrheit, die EU müsse bei nationalen Akteuren als Sündenbock herhalten, um von eigenen Versäumnissen abzulenken. Nationale und europäische Politik sind eng verwoben und werden längst als kommunizierende Gefäße wahrgenommen.

Dieser Unzufriedenheit mit der EU schließen sich anlassbezogen auch jene an, die ihr grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Die Verdrossenheit bei generellen EU-Befürwortern kann sich durchaus wieder ins Positive wenden, während der harte Anti-EU-Kern, der bis zu einem Viertel der Bevölkerung ausmachen kann, schwieriger oder gar nicht umzustimmen ist. Jene Minderheit, die ein solidarisches Europa ablehnt und der EU für alle Versäumnisse dieser Welt die Schuld gibt, ist vor allem laut und gibt Ratschläge. Konkrete Lösungen bietet sie allerdings nicht an. Höchste Zeit, dass sich die allzu lange passiv gebliebene Mehrheit endlich hörbar zu Wort melden. Sie hat die Wahl, sich zu engagieren oder aber eine Desintegration Europas zu akzeptieren.