25 Jahre EU-Beitritt – der Öxit ist ein Fremdwort (Gastkommentar, Der Standard)

Seit einem Vierteljahrhundert ist Österreich Mitglied der Europäischen Union. Heute ist die Mitgliedschaft zum Normalzustand geworden. Bei ihrer Bewertung überwiegen die Vorteile. Und auch wenn diese lange nicht perfekte Union gerne – manchmal auch zu Recht – kritisiert wird, sind wir dann doch froh, ein Teil von ihr zu sein. Kein Wunder also, dass sich drei Viertel der Österreicher dafür aussprechen, dass das Land EU-Mitglied bleiben soll. Weniger als zehn Prozent plädieren für einen Austritt – der niedrigste Wert in 25 Jahren.
Die hohe Zustimmung ist keine reine Momentaufnahme. Seit 1995 wurde 60 Mal in Umfragen die Gretchenfrage nach einem Verbleib oder Austritt gestellt. Schwankungen hat es immer wieder gegeben, jedoch stellten die Befürworter der Mitgliedschaft stets die Mehrheit. Im Durchschnitt lag ihre Zahl bei rund 70 Prozent – die Zahl jener, die sich für den EU-Austritt aussprach, bei 22 Prozent. Die höchste Zustimmung gab es 2002 nach der Informationskampagne rund um die Euroeinführung, den stärksten Austrittswunsch 2008, als Irland den Vertrag von Lissabon ablehnte, der EU ein Demokratiedefizit und mangelnde Transparenz vorgeworfen wurden und heimische Überlegungen im Raum standen, bei künftigen EU-Vertragsänderungen jedenfalls auf Volksabstimmungen zu setzen.

Sicherer Anker

War die EU in der Hochphase der Griechenland-Rettung und der Migrationskrise unter Druck geraten, wird sie nun europaweit – auch angesichts instabiler internationaler Verhältnisse, etwa auf der britischen Insel – als sicherer Anker wahrgenommen. Dass kein europäisches Land alleine grenzüberschreitenden Problemen gewachsen ist, bleibt nicht ganz unbemerkt. Ambivalenter ist die öffentliche Meinung hinsichtlich der letzten Erweiterungsschritte, offene Grenzen als Folge des Schengen-Abkommens werden aktuell kritisch betrachtet. Das Fehlen einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik und die Kakofonie divergierender Stimmen aus den Hauptstädten haben deutliche Spuren hinterlassen.
Die EU erscheint den Österreichern heute als sicherer, aber auch als schwächer, als dies noch vor fünf Jahren der Fall war. Nur eine knappe Mehrheit sieht sie als demokratisch und sozial, die Zahl jener, die dies nicht so wahrnehmen, ist beträchtlich. Auch die Lust an einer vertiefenden Zusammenarbeit innerhalb der Union ist derzeit begrenzt. Die Konsolidierung der rasch gewachsenen EU wird als dringlicher eingestuft als etwa die Aufnahme weiterer Länder Südosteuropas. Gegensätze in Umfragen zeigen oftmals besonderen politischen Handlungsbedarf auf. So auch hier: Gerade für Österreich ist die endgültige Befriedung des Balkans ein zentrales Anliegen. Eine Herausforderung für Politik, Kommunikation und Medien gleichermaßen. Bislang tritt man auf der Stelle anstatt den betroffenen Staaten mittels Teilnahme am Wirtschaftsraum einen raschen Integrationsschritt zu weisen. Ein Schritt, der gleichzeitig als Reformbeschleuniger und Lackmustest wirken würde.

Tendenz zur Selbstverzwergung

Österreich hat von der EU-Mitgliedschaft zweifellos profitiert. Trotzdem werden heimische und europäische Politik oft als Widerspruch dargestellt. Das müsste nicht sein. Wir sind eben nicht nur Beobachter, sondern auch Akteur der europäischen Integration, die von Kompromissen lebt, die mühsam erarbeitet werden und nie alle zufriedenstellen können. Die EU wird auch weiterhin eine Baustelle verschiedenster Ideen und Interessen bleiben. Ein Haus der Vielfalt, dessen Architektur wir mitgestalten können.
Anders als etwa die Schweiz, deren ambivalentes Modell des autonomen Nachvollzugs von EU-Recht an seine Grenzen stößt, haben wir die Möglichkeit, europäische Regeln zu beeinflussen. Die Eidgenossen haben auf ihrem nationalen Weg an Souveränität und Wohlstand eingebüßt, die österreichische EU-Mitgliedschaft hat hingegen zu positiven Wachstumseffekten und einer europäischen Bündelung von Souveränität geführt. Trotzdem bleiben die Herausforderungen die dieselben, während unsere Antworten, oftmals geprägt von einer Tendenz zur Selbstverzwergung, zwischen selektiver Wahrnehmung und globalen Wirklichkeiten oszillieren. Dabei ist unumstritten, dass wir die großen Fragen unserer Zeit nicht alleine lösen können. Ihnen im kommenden Jahr mehr Aufmerksamkeit zu widmen und weniger Nabelschau zu halten, wäre ein passender Neujahrsvorsatz.
[Foto: APA/ROLAND SCHLAGER]