25 Jahre Österreich in der Europäischen Union – Gekommen, um zu bleiben

Der Teilnahme Österreichs an der europäischen Integration waren infolge der Nachkriegsordnung lange Jahre Grenzen gesetzt. Erst mit der Annäherung von Ost und West – symbolisiert durch die Öffnungspolitik Michail Gorbatschows – konnte ein Beitritt zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft realistisch in Erwägung gezogen werden. Mit dem sogenannten Brief nach Brüssel, der von Außenminister Alois Mock im Namen der Bundesregierung am 17. Juli 1989 an den Präsidenten des EG-Ministerrats, Roland Dumas, gesandt wurde, startete ein Prozess, der nicht nur zu einem tief greifenden strukturellen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel führte, sondern gleichzeitig auch von den Österreicherinnen und Österreichern eine Neubewertung der Stellung ihres Landes in Europa und der Welt verlangte – ein notwendiger, wenn auch kein leichter Schritt, war doch das Bild Österreichs als einer Insel der Seligen, als eines neutralen, von den Unbilden des Weltgeschehens kaum berührten Landes in der Mitte Europas, fest im heimischen Selbstverständnis verankert.

Ergebnis der EU-Volksabstimmung

Dennoch ergab die am 12. Juni 1994 abgehaltene EU-Volksabstimmung einen deutlichen Ausschlag zugunsten der Mitgliedschaftsbefürworter. Zwei Drittel (66,58 Prozent) gaben ihre Zustimmung, bei einer Wahlbeteiligung von 82 Prozent. Damit stieß der Beitritt letztlich auf deutlich positivere Resonanz als in anderen Ländern, die sich ebenfalls um die Mitgliedschaft bewarben – in Schweden stimmten 52,3 Prozent, in Finnland 56,9 Prozent dafür, die Norweger lehnten mit 52,2 Prozent den EU-Beitritt ihres Landes ab.
Die stärksten Befürworter fanden sich im Burgenland, wo sich fast drei Viertel für die EU-Mitgliedschaft aussprachen, am wenigsten begeistert zeigten sich mit knapp über 56 Prozent die Tiroler. Die hohe Zustimmung war damals alles andere als selbstverständlich, der Abstimmungsausgang bis zuletzt unsicher. Noch zu Beginn des Jahres 1992 „erscheint die Europäische Gemeinschaft im allgemeinen Stimmungsbild der Bevölkerung als etwas, das außerhalb Österreichs liegt. Die Bevölkerung sieht keinen unmittelbaren Einfluss und keine Vorteile in ihrem individuellen Leben durch eine EU-Mitgliedschaft“, wie aus einer Dokumentation des Außenministeriums zum Beitrittsprozess hervorgeht. In Meinungsumfragen entschieden sich damals 38 Prozent für eine EU-Mitgliedschaft, 30 Prozent dagegen, während ein Drittel unentschlossen war. Nur 16 bis 18 Prozent der Österreicher fühlten sich „als Europäer“.
Den Ausschlag gab schlussendlich, dass sich sowohl Regierungsparteien als auch Sozialpartner einhellig für den Beitritt zur EU eingesetzt hatten. Mit dem Motto „Besser gemeinsam als einsam“ wurde die Identifikation mit Europa bewusst thematisiert. Der Wunsch, eine Abseitsstellung Österreichs zu verhindern, zählte zu den wichtigeren Motiven, für den Beitritt zu stimmen. Hauptbeweggrund für ein Ja war jedoch unbestritten die Erwartung wirtschaftlicher Vorteile. Im Gegenzug machten Beitrittskritiker Nachteile für Landwirtschaft und Umwelt, eine höhere Transitbelastung und die Gefährdung der Neutralität geltend.
Aufgrund der Tragweite der Entscheidung beherrschten Emotionen und eine Polarisierung des Meinungsbilds die öffentliche Debatte – und haben seit damals den heimischen EU-Diskurs nicht verlassen. Mit dem Tag der Volksabstimmung fand auch die umfassende Information über die EU ein jähes Ende, was zur Geburt von teils bis heute wirkenden (Vor-)Urteilen gegenüber der Union führte. Die im Rahmen der Beitrittskampagne versprochenen Vorteile erwiesen sich als oft zu allgemeingültig formuliert, eine schwächelnde Konjunktur ließ die wirtschaftlichen Effekte zu Beginn geringer ausfallen als erwartet. Das Referendum weckte Erwartungen, die nicht leicht zu erfüllen waren. Ernüchterung und Indifferenz stellten sich ein. EU-kritische Stimmen füllten die Kommunikationslücke, die von der Politik offen gelassen wurde. Während laut Eurobarometer im November 1994 noch 42 Prozent Vorteile und 31 Prozent Nachteile durch die Mitgliedschaft erwarteten, hatte sich dieses Bild kaum ein Jahr später praktisch gedreht (Oktober 1995: 34 zu 44 Prozent).
Die bilateralen Maßnahmen der EU-14 nach dem Regierungseintritt der FPÖ im Jahr 2000 versetzten der EU-Stimmung einen weiteren Dämpfer, besonders da sie der Union und ihren Institutionen generell zugeschrieben wurden. Die selektive Wahrnehmung „Brüssels“ als Widerpart heimischer Interessen wirkt bis heute nach.
Das offizielle Österreich hat sich trotzdem über weite Strecken seiner Mitgliedschaft als Unterstützer des Integrationsprozesses verstanden und war bei allen maßgeblichen Einigungsschritten von Anfang an dabei. Dies führte zum einen zu einer intendierten Stärkung des europäischen Identitätsgefühls, bewirkte aber – gerade in der Implementierungsphase – in skeptischeren Bevölkerungsgruppen auch einen gegenteiligen Effekt. So war die Einführung des Euro – eigentlich eine Phase hoher Zustimmung zur EU – auch von einer Teuerungsdebatte geprägt. Die Erweiterungsrunde 2004, die hierzulande zwar mehrheitlich begrüßt wurde, nährte auch Zweifel über die faire Verteilung des wirtschaftlichen Mehrwerts der EU-Mitgliedschaft und Sorgen vor erhöhtem Wettbewerb vor allem im Niedriglohnsektor, was dann mit Ende der Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit nochmals zum Thema wurde. Auch die Diskussion über die Einführung der letztlich gescheiterten EU-Verfassung bzw. des Vertrags von Lissabon sowie die Öffnung der Grenzen im Zuge der Schengenerweiterung sind Teil dieses ambivalenten Bilds.

Europaidentifikation der Österreicher

Die Frage nach der Europaidentifikation der Österreicher ist untrennbar mit der heimischen Europadiskussion verbunden. Symptomatisch für den EU-Diskurs hierzulande sind sein oftmals defensiver Charakter, das Kokettieren mit EU-Skepsis und der Fokus auf die nächste Schlagzeile. Lange galt es als riskant, sich offen proeuropäisch zu positionieren und den Anspruch zu erheben, Europa explizit mitgestalten zu wollen. Die eigene Verantwortung und die Beteiligung an europäischen Beschlüssen werden ungern thematisiert. Umso lautstarker zeigen sich dagegen desintegrative Stimmen, die, unterstützt von Boulevard und virtuellen Echokammern, die Themenführerschaft übernehmen.
In der Diskussion um europäische Handelsabkommen etwa verabsäumte es die Politik, frühzeitig einen faktenbasierten Diskurs vorzugeben. Das entstandene Informationsvakuum verstärkte ein diffuses Gefühl des Unbehagens in der Öffentlichkeit und trug zu verfestigten Standpunkten bei.
Bei der Bewältigung der Herausforderung von Flucht und Migration führte die gefühlte Überforderung in Versuchung, gemeinsame europäische Verantwortung durch nationalen Aktivismus und verschärfte Sicherheitsrhetorik zu ersetzen und die Union als handlungsschwachen Gegenpol darzustellen.
Österreichs Stellung als Nettozahler – eigentlich aber als Nettogewinner – lässt seit jeher die Wogen hochgehen. Die Kosten-Nutzen-Debatte wird allzu eng geführt, eine Opposition zwischen heimischen und europäischen Interessen konstruiert.
Traditionell muss auch der viel zitierte „Regulierungswahn“ der EU für innenpolitische Profilierung herhalten. Plakative Beispiele und die sie umgebenden Mythen sind fest im kollektiven Bewusstsein verankert, hoch emotionalisiert und werden bei sich bietender Gelegenheit gerne wiederholt. Dass diese Regelungen eigentlich von den Mitgliedstaaten oftmals selbst initiiert wurden und dahinter auch relevante ökonomische, umweltpolitische oder soziale Überlegungen stehen könnten, findet selten Eingang in die öffentliche Auseinandersetzung.

Austritt aus der Europäischen Union nicht vorstellbar

Bei aller Kritik an der Funktionsweise der Union: Einen Austritt aus der EU kann sich die überwiegende Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher dennoch nicht vorstellen. 59 bundesweite Befragungen der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik seit Juni 1995 zeigen, dass – trotz Schwankungen – die Befürworter der EU-Mitgliedschaft stets in der Mehrheit waren. Im Durchschnitt lag ihre Zahl bei rund 70 Prozent, die Zahl jener, die sich für den EU-Austritt aussprachen, dagegen bei 22 Prozent. Die höchste Zustimmung fand sich im Juni/Juli 2002 (80 Prozent), der stärkste Wunsch nach einem Austritt im Juni/Juli 2008 (33 Prozent), als Irland den Vertrag von Lissabon ablehnte und im Zuge dessen der Union von der heimischen Politik ein Demokratiedefizit und mangelnde Transparenz vorgeworfen und überlegt wurde, bei künftigen EU-Vertragsänderungen auf Volksabstimmungen zurückzugreifen. Ein ähnliches Niveau erreichte die Austrittsbefürwortung im Zuge der griechischen Staatsschuldenkrise (2012) sowie als Folge der im Herbst 2015 einsetzenden Flucht- und Migrationsbewegungen nach Mitteleuropa und dem damit verbundenen Erstarken rechtspopulistischer Strömungen.
Aktuell wünschen sich drei Viertel der Österreicher, dass unser Land EU-Mitglied bleibt, gerade ein Zehntel plädiert dafür, die Union zu verlassen. Der Stimmungsumschwung ist eng mit dem 23. Juni 2016, dem Tag der Brexitabstimmung, verbunden, die Wahl von Donald Trump einige Monate später tat ihr Übriges. Eine Eurobarometer-Umfrage des EU-Parlaments von Juni 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass das Ansehen der EU das höchste Niveau seit dem Jahr 2000 erreicht, dass sich drei Viertel als EU-Bürger fühlen und dass sich die Hälfte auch persönlich mit der Union identifiziert. Doch das Meinungsbild differiert teils deutlich nach einzelnen Bevölkerungsgruppen: Ältere Befragte und Personen am Land stehen der Union kritischer gegenüber, was auch für jene Österreicher gilt, die sich eher rechts im politischen Spektrum ansiedeln.
Alleine der verbesserten Performance der EU die grundsätzlich positivere Entwicklung zuzuschreiben wäre vermessen, denn die Meinungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nehmen nicht ab, die Integrationsrichtung ist weiter umstritten. Das abschreckende Beispiel des Brexits hat jedoch, ebenso wie die aggressive Rhetorik aus Washington, dazu beigetragen, dass die Zugehörigkeit zur EU wieder stärker geschätzt wird. Auch der Anstieg der Beteiligung an den Europawahlen gegenüber 2014 – EU-weit um mehr als 8, in Österreich um 14 Prozentpunkte – weist in diese Richtung und zeigt zudem ein gestiegenes Interesse an europäischen Entwicklungen.

Festigung einer europäischen Identität

Die Festigung einer europäischen Identität ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen stattfindet. Die vielfältige Geschichte Europas belegt, dass ihre Ausbildung aus einer weiteren Perspektive betrachtet werden
muss. Helfen könnte jedoch ein konstruktiveres Europanarrativ, das überzeugende, gemeinsam getragene und selbstbewusste Antworten auf jene Fragen gibt, die für die Bevölkerung ganz oben auf der Prioritätenliste stehen: Klimaschutz, Sicherheit, Wohlstand. Dafür braucht es nicht zwangsläufig neue Verträge, sondern politischen Gestaltungswillen in den Regierungsvierteln Europas und generations- und grenzübergreifendes Denken und Handeln.
Auch für Österreich ist die Europäische Union weder Gegensatz noch Außenfeind, sondern eine Chance, neue politische Spielräume zu nutzen und mit proaktiver Politik unser Land und Europa weiterzuentwickeln. Angesichts der demografischen Entwicklungen und wirtschaftlichen Verflechtungen kann Österreich nur im EU-Rahmen weltweit bestehen. Das gilt ebenso für die vermeintlich Großen in der EU, von denen manche nach wie vor nicht registriert zu haben scheinen, dass sie global gesehen auch ziemlich klein aussehen.
Vor einem Vierteljahrhundert haben die Österreicherinnen und Österreicher über ihren künftigen Integrationsweg entschieden – ein nicht immer einfacher, doch ein sich lohnender Weg, insbesondere wenn statt Polarisierung und Konflikt Selbstvertrauen, eine stärkere Identifikation und Sachlichkeit in den Vordergrund gestellt werden. Ein nachhaltig positives EU-Image ist kein Selbstläufer, aber mit politischem Willen, vermehrt eigenen Akzenten sowie Dialogbereitschaft kann die gefühlte Distanz zur EU nur geringer werden. Es zahlt sich aus, sich dafür einzusetzen. Österreich ist gekommen, um zu bleiben.
© Grafik: Parlamentsdirektion / softworks / Alexander Koda – Bearbeitung: Parlamentsdirektion / Pia Wiesböck