Europas Jugend braucht eine Perspektive (Gastkommentar, Wiener Zeitung)

Die EU-Kommission will mit 750 Milliarden Euro an Finanzhilfen dazu beitragen, die gravierenden Folgen der Corona-Pandemie in den am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten zu lindern. “Next Generation EU” heißt der in diesem Umfang noch nie da gewesene Mix aus Zuschüssen und Darlehen. Gemeinsam mit dem mehrjährigen EU-Haushalt, den Corona-Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem EZB-Notfall-Anleihekaufprogramm steigt damit das Volumen der EU-Krisenhilfe auf ein Vielfaches an, nationale Konjunkturprogramme gar nicht eingerechnet. Die nächste Generation wird diese Hilfen schultern müssen und sollte daher besonders berücksichtigt werden, wenn es darum geht, die EU neu auszurichten. Globale Abhängigkeiten müssen reduziert, umfassende Investitionen in Umwelt- und Klimaschutz, Digitalisierung und die Resilienz der Gesundheitssysteme getätigt werden, mit dem Ziel, nicht zuletzt auch neue Jobmöglichkeiten in einem veränderten Arbeitsumfeld zu generieren.
Gerade junge Menschen – in Ausbildung oder am Beginn ihrer Berufslaufbahn – werden von den Corona-Folgen hart getroffen und vielfach ihrer Perspektiven beraubt. Eine Erfahrung, die sie mit jenen teilen, die schon im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise Jobverlust, prekäre Arbeitsverhältnisse und soziale Deklassierung erlebt haben. Es trifft dabei genau jene Bevölkerungsgruppe, die zu den stärksten Befürwortern der Europäischen Integration zählt. So fühlen sich – in der noch vor dem Corona-Ausbruch durchgeführten Befragung der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik – hierzulande acht von zehn Jugendlichen im Alter von 15 bis 20 Jahren als EU-Bürger, für ebenso viele ist Österreichs EU-Mitgliedschaft “eine gute Sache”. Ein Stimmungsbild, das über die vergangenen Jahre durchwegs Bestand hatte. Klima- und Umweltschutz sowie die Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich stehen auf der Liste jener Themen, denen sich die EU nach Meinung der Jugend besonders widmen soll. Herausforderungen, die durch die Konsequenzen des Lockdown an Brisanz gewonnen haben. Gerade in der aktuellen Situation ist Europas Politik gefordert, diesem Vertrauensvorschuss gerecht zu werden, sonst wirkt die Corona-Krise auch hier als Nährboden für nationalistische Heilsbringer, Protektionismus und Demokratieverdruss.
Vor diesem Hintergrund wird grenzüberschreitender Austausch in der Zeit nach Corona notwendiger denn je. Die Aufstockung des Programms Erasmus+ auf insgesamt 24,6 Milliarden Euro kommt hier zur rechten Zeit. Auch eine österreichische Initiative sollte in diesem Zusammenhang nicht in den Schubladen verschwinden: Das im Regierungsprogramm formulierte Vorhaben, allen Jugendlichen zu ermöglichen, Europas Institutionen persönlich kennenzulernen, hat Vorbildcharakter. Die europäischen Wiederaufbaupläne zielen auf eine nachhaltige Stärkung der EU ab. Das kann letztlich nur gelingen, wenn auch die Jugend miteinbezogen wird. Der nächsten Generation Perspektiven zu bieten, ist heute wichtiger denn je.

Mag. Paul Schmidt 

Mag. Paul Schmidt (*1975) ist seit September 2009 Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE). Davor war er für die Oesterreichische Nationalbank in Wien und in Brüssel tätig. Er studierte Internationale Beziehungen, Politikwissenschaften und Publizistik an Universitäten in Österreich, Spanien sowie den USA und ist Alumni der Diplomatischen Akademie in Wien.