30 Jahre Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs

Handlungsempfehlungen

  1. Nehmen wir den 30. Geburtstag der Volksabstimmung vom 12. Juni 1994 zum Anlass, um daran zu erinnern, dass es möglich ist, in der Europa-Politik über Parteigrenzen hinweg, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen.
  2. Gerade weil wir wissen, dass die EU nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen besitzt, brauchen wir Politiker:innen, die ehrlich zu den Bürger:innen sind – nur so kann man gegen Populismus, Fake News oder Verschwörungstheorien erfolgreich sein.
  3. Ein starkes öffentliches Bekenntnis zur EU ist Voraussetzung, dass diese ihren Weg in der sich neugestaltenden Weltordnung gehen und darin einen gewichtigen Platz einnehmen kann.

Zusammenfassung

Am 12. Juni 1994 stimmten die Österreicher:innen über das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (EU-Beitritts-BVG) ab. Bei einer Wahlbeteiligung von 82,3 Prozent befürworteten 66,6 Prozent eine Änderung der österreichischen Verfassung und machten somit den Weg in Richtung Europäische Union (EU) frei. Folglich konnte die Bundesregierung den Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur EU abschließen. Der 12. Juni bedeutet einen wesentlichen Höhepunkt auf dem Weg Österreichs in die EU, der mit dem sogenannten „Brief nach Brüssel“, datiert mit 14. Juli 1989, eingeleitet wurde. Darin ersuchte der damalige Außenminister Alois Mock um Aufnahme in die EU. Allerdings wurde Österreichs Geduld auf die Probe gestellt, denn erst 1991 erhielt es die ersehnte Stellungnahme („Avis“) der Europäischen Kommission und zwei Jahre später (1993) begannen die formellen Beitrittsverhandlungen. Am 1. März 1994 – nach einem langen Verhandlungsmarathon – ließ sich Alois Mock zu den euphorischen Worten „Österreichs Weg zur EU ist frei“ hinreißen. Damit verknüpfte er den Abschluss des österreichischen Integrationsprozesses mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages. Damals (1955) bejubelte sein Vorgänger im Außenministerium, Leopold Figl, die Unterzeichnung des Staatsvertrages mit den Worten „Österreich ist frei“. Nach der Zustimmung zum Beitritt Österreichs durch das Europäische Parlament erfolgte die Volksabstimmung. Dies deshalb, weil der Beitritt eine weitgehende Änderung der österreichischen Bundesverfassung zur Folge hatte. Im Vorfeld zog die Koalitionsregierung, gebildet von der Sozialdemokratischen Partei Österreichs und der Österreichischen Volkspartei, an einem Strang und führte eine geschickte pro EU-Werbekampagne. Der Slogan damals lautete „Besser gemeinsam als einsam“ – ein Slogan, der auch 30 Jahre danach nicht an Aktualität verloren hat.

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30 Jahre Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs

Am 12. Juni 1994 fanden Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Eine Wahlkarte mit einer dürftig bekleideten, frivol wirkenden Europa, die auf dem weißen Stier ritt, sollte die EU-Bürger:innen zur Wahl animieren.

Österreich war damals noch nicht offiziell Mitglied der Europäischen Union (EU). Die Österreicher:innen waren aber dennoch aufgefordert, an diesem Tag ihre Stimme abzugeben. Sie waren aufgerufen, die Österreichische Bundesregierung zu legitimieren, den Staatsvertrag über den Beitritt zur Europäischen Union abzuschließen. Somit markiert der 12. Juni 1994 einen wesentlichen Meilenstein in der Geschichte der Zweiten Republik. Dieses „geschichtsträchtige“ Datum bedeutet den Endpunkt einer Entwicklung, die fünf Jahre zuvor mit dem „Brief nach Brüssel“ eingeleitet wurde: Dieser Brief von Außenminister Alois Mock an den Ratspräsidenten der Europäischen Gemeinschaft (EG) Roland Dumas trägt das Datum 14. Juli 1989 – genau 200 Jahre nach Ausbruch der Französischen Revolution (14. Juli 1789) wollte man den Franzosen, die die Ratspräsidentschaft inne hatten, an ihrem Nationalfeiertag eine Referenz erweisen.[1] Der „Brief nach Brüssel“ kann auch für Österreich – im positiven Sinne – als kleine innen- bzw. außen- und europapolitische Revolution gedeutet werden.

Blickt man nun 30 Jahre danach auf den 12. Juni 1994 zurück, kann man dessen „Tragweite“ besser verstehen, wenn man sich wesentliche Eckpunkte des „österreichischen Integrationsprozesses“ vergegenwärtigt, die kurz wiedergegeben werden.

Wesentliche Stationen auf dem Weg Österreichs nach Brüssel ab 1955

„Österreich ist frei“ lauteten die Worte von Außenminister Leopold Figl, als er am 15. Mai 1955 den Staatsvertrag nach langen Verhandlungen im Schloss Belvedere unterzeichnet hatte. Vom Balkon aus präsentierte er der jubelnden Menschenmenge diesen so lang ersehnten Vertrag. Seine Worte haben sich in die Geschichte und das Geschichtsgedächtnis unseres Landes „eingeschrieben“. Ab diesem Moment und einhergehend mit dem Abzug des letzten Besatzungssoldaten auf österreichischem Boden konnte tags darauf am 26. Oktober 1955 das Neutralitätsgesetz als Bundesverfassungsgesetz (BGBl. 211/1955) verabschiedet werden. Österreich wurde noch im Dezember Mitglied der Vereinten Nationen (UNO) und 1956 Mitglied des Europarates. Ein Jahr später erfolgte die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die Frage nach einer Mitgliedschaft Österreichs ergab sich erst im Zuge der Diskussionen um die Schaffung einer Europäischen Freihandelszone 1959. Die diesbezüglichen Debatten im österreichischen Parlament entzündeten sich an der Frage „Freihandelszone oder Zollunion“ und erhielten zusätzlich durch die Einbeziehung der Neutralitätsthematik entsprechenden Zündstoff. Unvergessen die Aussage des damaligen EWG-Befürworters Josef Krainer sen., Landeshauptmann der Steiermark, „nicht in der Neutralität verhungern zu wollen“.[2] Dennoch wurde Österreich 1960 Gründungsmitglied der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und stellte von dieser Position aus zweimal einen Assoziierungsantrag an die EWG. Erst mit dem Großen Freihandelsabkommen zwischen der EG und der EFTA erhielt Österreich Zutritt zum größeren europäischen Markt. Während der Alleinregierung der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) unter Bruno Kreisky (1970-1983) erfolgte vielmehr eine Globalisierung denn eine Europäisierung der Innenpolitik. Zwei wesentliche Ereignisse führten dazu, dass Österreich den Weg in Richtung „Brüssel“ ernsthaft überlegte: die Affäre Frischenschlager und die Waldheim-Affäre. Der damalige Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager begrüßte den aus italienischer Gefangenschaft entlassenen ehemaligen Sturmbannführer der Waffen-SS Walter Reder am 24. Jänner 1985 persönlich und mit Handschlag.[3] Bei der Waldheim-Affäre ging es um die Klärung der Rolle des ÖVP-Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim in der Zeit des Nationalsozialismus, seine Kriegsteilnahme am Balkan und die Frage, ob er von Kriegsverbrechen wusste. Waldheim hatte seine Kriegsvergangenheit unvollständig Preis gegeben und beantwortete Fragen zumindest missverständlich.[4] Schließlich sollte diese Affäre der 1987 gebildeten Großen Koalition zwischen der SPÖ und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) als integrationspolitisches Schwungrad dienen.

Zwei wesentliche Ereignisse führten dazu, dass Österreich den Weg in Richtung „Brüssel“ ernsthaft überlegte: die Affäre Frischenschlager und die Waldheim-Affäre.

Die Koalitionsregierung war auf Basis der Nationalratswahl 1986 gebildet worden (im selben Jahr erfolgte die Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten), bei der die SPÖ als Sieger hervorging. Franz Vranitzky wurde Bundeskanzler, die ÖVP stellte mit Alois Mock den Vizekanzler und Außenminister. Beide sollten nun zu den wichtigsten Akteuren auf dem Weg Österreichs nach Brüssel werden. Mit der Großen Koalition erfolgte ein Kurswechsel der österreichischen Außenpolitik, wenngleich Vranitzky zunächst – aufgrund neutralitätspolitischer Überlegungen – keinen Vollbeitritt Österreichs ins Auge gefasst hatte. Doch einigten sich die beiden Koalitionspartner auf einen gemeinsamen Kurs in Richtung Brüssel, sodass bereits am 17. Juli 1989 Außenminister Alois Mock EG-Ratspräsidenten Roland Dumas die Beitrittsanträge Österreichs überreichen konnte. Im Vorfeld dazu tätigte Mock einen medienwirksamen Auftritt: Am 27. Juni 1989 durchtrennte er gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen Gyula Horn in Klingenbach symbolisch den Eisernen Vorhang. Dieser Akt wurde mit einem Foto festgehalten. Auch hier ist eine Parallele zum Staatsvertragsritual von 1955 zu sehen – dieses ikonische Bild fand Einzug in die Geschichtsbücher und machte Alois Mock gewissermaßen unsterblich.

Vor 35 Jahren – der „Brief nach Brüssel“

Wie bereits erwähnt, datiert der Brief vom 14. Juli 1989. Die Fortführung der Neutralitätspolitik war für die SPÖ ein Muss, was zu entsprechenden Diskussionen innerhalb der Koalition geführt hatte und zu deren Nennung im Brief führte: „Österreich geht bei der Stellung dieses Antrags von der Wahrung seines international anerkannten Status der immerwährenden Neutralität (…) aus“. Nicht nur innenpolitisch bildete das Thema Neutralität einen Streitpunkt, auch auf EG-Ebene hegte man Zweifel. Hier musste man vor allem beim belgischen Außenminister Mark Eyskens entsprechende Überzeugungsarbeit leisten, das stille Placet[5] hatte sich Mock bereits 1988 aus Moskau geholt. Nichtsdestotrotz erfolgte die Einleitung des Beitrittsprozedere nach Art. 49 EUV (Vertrag über die Europäische Union). Der Europäische Rat leitete das Antragsgesuch an die Europäische Kommission weiter, die nun eine Stellungnahme („Avis“) ausarbeiten sollte. Die grundsätzlich kritische Haltung Brüssels gegenüber Österreichs Beitrittsgesuch – es ging schließlich auch darum, eine Grundsatz- gar Richtungsentscheidung zu treffen, sollte man ein neutrales Land aufnehmen und damit Gefahr laufen, dass eine weitere EG-Integration dadurch in Frage gestellt werde[6] – änderte sich aufgrund der weltpolitischen Ereignisse ab Ende 1989: Das Sowjetsystem war zusammengebrochen. Wenngleich ab Ende 1989 die „informellen Vorbeitrittsgespräche“ in Gang gesetzt wurden, kam das Avis der Europäischen Kommission erst 1991. Österreichs Beitritt war an die Mitgliedschaft im zu bildenden EWR gekoppelt, schließlich konnten die formellen Beitrittsverhandlungen am 1. Februar 1993 aufgenommen werden. Ab jetzt startete ein Verhandlungsmarathon[7], der am 25. Februar im „Jumbo“-Ministertreffen gipfelte – 103 Stunden wurde verhandelt.[8] Am 1. März erfolgte der Durchbruch – Alois Mock kommentierte diesen Erfolg mit den Worten „Österreichs Weg zur EU ist frei“ – bewusst gewählt in Analogie zur Aussage Leopold Figls 1955.[9] Der Delegationsleiter Alois Mock war damals schon sehr schwer von seiner Parkinson-Erkrankung gezeichnet, weshalb ihn zeitweise Finanzminister Ferdinand Lacina und Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel vertraten. Unvergessen bleibt das „Busserl“, das der sonst sehr distanzierte Außenminister der Europaministerin Brigitte Ederer (SPÖ) als Ausdruck seiner Freude auf die Wange drückte. Am 4. Mai 1994 stimmte das Europäische Parlament mit 374 Stimmen gegen 24 Stimmen und 61 Enthaltungen für den Beitrittsvertrag. Einen Tag später beschloss der Nationalrat das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (EU-Beitritts-BVG, BGBl. 744/1994).

Die Partner der Regierungskoalition hatten sich in einem Koalitionspapier darauf geeinigt, einen gemeinsamen Weg nach Brüssel einschlagen zu wollen – daran hielt man auch fest. Dementsprechend wurde auch die „Wahlwerbung“ betrieben, man hatte ein gemeinsames Narrativ gefunden, parteipolitische Geplänkel wurden außen vorgelassen. Mit Ausnahme des Liberalen Forums galt dies jedoch nicht für die Opposition: Jörg Haider, obwohl früher ein EG-Befürworter, startete eine Kampagne gegen die EU. Die Grünen wiesen auf einem Wahlplakat mit dem Satz „Wir haben den Vertrag gelesen“ auf ihre EU-kritische Einstellung hin.

Die Partner der Regierungskoalition hatten sich in einem Koalitionspapier darauf geeinigt, einen gemeinsamen Weg nach Brüssel einschlagen zu wollen – daran hielt man auch fest.

Vor 30 Jahren – der 12. Juni 1994

Da der Beitrittsvertrag eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung nach sich ziehen werde[10], musste das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zu EU[11] (EU-Beitritts-BVG), nach Zustimmung durch den Bundesrat, einer Volksabstimmung unterzogen werden.

Artikel I des EU-Beitritts-BVG (BGBl 744/1994) lautet:

Mit der Zustimmung des Bundesvolkes zu diesem Bundesverfassungsgesetz werden die bundesverfassungsgesetzlich zuständigen Organe ermächtigt, den Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union entsprechend dem am 12. April 1994 von der Beitrittskonferenz festgelegten Verhandlungsergebnis abzuschließen.

Als Termin für die Volksbefragung gemäß Bundesverfassung hatte man den 12. Juni 1994 festgelegt. An diesem 12. Juni 1994, es war ein angenehmer Sommertag, waren 5.790.578 Personen wahlberechtigt, wovon 4.724.831 Personen zur Volksabstimmung gingen, das waren 82,3 Prozent.

Die Österreicher:innen hatten folgende Frage mit Ja oder Nein zu beantworten:

Soll der Gesetzesbeschluß des Nationalrates vom 5. Mai 1994 über das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union Gesetzeskraft erlangen?

Die Österreicher:innen stimmten mit 66,6 Prozent für einen Beitritt, die Schweden übrigens „nur“ mit 52,3 Prozent bzw. die Finnen mit 56,9 Prozent. Die norwegische Bevölkerung lehnte, wie bereits 1972, mit 52,5 Prozent einen EU-Beitritt ab. Ein Blick auf die Ergebnisse in den einzelnen Bundesländern zeigt, dass die meiste Zustimmung aus dem Burgenland kam: 74,7 Prozent! Dies mag wohl daran gelegen sein, da dem Land die größte EU-Förderung in Aussicht gestellt worden war. Tirol (Stichwort: Transit, 56,2 Prozent JA), Vorarlberg (66,6 Prozent JA) und Wien (66,2 Prozent JA) bildeten die Schlusslichter.[12]

Am 24. Juni 1994 erfolgte die Unterzeichnung des Beitrittsvertrages in der Georgskirche auf der Insel Korfu. Knapp fünf Monate später, am 22. November 1994, unterzeichneten Bundespräsident Thomas Klestil und Bundeskanzler Franz Vranitzky die Ratifikationsurkunde des Vertrages. Am 24. November wurde sie in Rom hinterlegt, wo sich alle Vertragswerke zu EU-Beitritten befinden. Das Protokoll über die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zum EU-Beitrittsvertrag stellt somit das einzige offizielle Vertragsstück im Zusammenhang mit Österreichs EU-Beitritt dar, das sich im Besitz der Republik Österreich befindet und im Österreichischen Staatsarchiv aufbewahrt wird.[13]

Der 12. Juni 1994: „Schicksalstag“ für Österreich?

Wie kann man den 12. Juni in die Geschichte Österreichs einordnen? Im Rückblick scheint der 12. Juni 1994 jedenfalls ein „Schicksalstag“, gar „einer der erfolgreichsten Tage in der Geschichte der Zweiten Republik[14] gewesen zu sein, wie einem Beitrag auf ORF online zu entnehmen ist. Dieser hatte den Slogan des „EU-Wahlkampfes“ „Gemeinsam statt einsam“[15] als Titel, den u. a. auch Paul Schmidt für seinen Kommentar verwendete.[16] Mit seiner Aussage „Österreichs Weg zur EU ist frei“ knüpfte Alois Mock an das Jahr 1955 an und verlieh somit indirekt dem 12. Juni die Bedeutung eines Fundaments für den Meilenstein, der am 1. Jänner 1995 mit dem Beitritt Österreichs in die EU gelegt wurde. Ein Blick in die Geschichtsbücher – mit wenigen Ausnahmen (Michael Gehler) hingegen bringt Ernüchterung – der 12. Juni 1994 findet eine relativ trockene und formelle Nennung, von Euphorie keine Rede.  Dies, obwohl der 12. Juni 1994 nicht nur das Ende der fünf Jahre zuvor eingeleiteten Bemühungen bedeutete, sondern auch den Beginn neuer „europäischer“ Entwicklungen. Österreich rückte, spätestens nach der sogenannten Osterweiterung 2004, vom Rand ins Zentrum Europas.

Mit seiner Aussage „Österreichs Weg zur EU ist frei“ knüpfte Alois Mock an das Jahr 1955 an und verlieh somit indirekt dem 12. Juni die Bedeutung eines Fundaments für den Meilenstein, der am 1. Jänner 1995 mit dem Beitritt Österreichs in die EU gelegt wurde.

Bei hoher Wahlbeteiligung haben sich zwei Drittel der Österreicher:innen für den Beitritt zur EU ausgesprochen. Die Gründe für dieses hohe Abstimmungsresultat waren mannigfache[17] – u. a. assoziierte man mit dem Beitritt wirtschaftlichen Wohlstand und Sicherheit. Für diese positive Stimmung sorgte nicht nur die Einigkeit der Regierungsparteien, eine geschickt von der Regierung eingesetzte EU-Werbekampagne, sondern auch die Medien verbreiteten europafreundliche Stimmung – zu Beginn 1994 kam es zu einem Schulterschluss zwischen Regierung und Kronen Zeitung. Schließlich verband man mit dem Beitritt die Hoffnung, einen Weg aus der außenpolitischen Isolation, verursacht nicht zuletzt durch die Waldheim-Affäre, zu finden.

Bei hoher Wahlbeteiligung haben sich zwei Drittel der Österreicher:innen für den Beitritt zur EU ausgesprochen.

Wie stehen die Österreicher:innen 30 Jahre nach dem Referendum zur EU? Fest steht, dass sie nicht zu den begeistertsten Europäer:innen zählen. Immerhin sind gemäß der letzten Standard Eurobarometer-Umfrage vom Herbst 2023 34 Prozent der Befragten der Meinung, dass ein Austritt aus der EU positive Folgen hätte. Im EU-Schnitt sind es 28 Prozent, die ein Leben außerhalb der EU positiv sehen.[18] Im langfristigen Trend liegt die Zahl der Befürworter:innen der heimischen EU-Mitgliedschaft im Durchschnitt bei 70 Prozent und die Zahl jener, die sich für einen Austritt aussprechen, bei 22 Prozent (70 ÖGfE-Umfragen seit 1995).[19] Eine im März 2024 durchgeführte Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik zeigt, dass sich die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft mit 65 Prozent auf einem hohen Niveau befindet.[20] Gleichzeitig konnte im Zusammenhang mit der Ablehnung der EU-Mitgliedschaft eine Trendumkehr festgestellt werden, da die Zahl jener, die aus der EU tatsächlich austreten wollen, seit Jahresbeginn von 29 Prozent auf 23 Prozent gesunken ist.[21]

Im langfristigen Trend liegt die Zahl der Befürworter:innen der heimischen EU-Mitgliedschaft im Durchschnitt bei 70 Prozent und die Zahl jener, die sich für einen Austritt aussprechen, bei 22 Prozent.

Hinsichtlich des Images der EU haben 36 Prozent der Österreicher:innen ein positives bzw. 39 Prozent ein neutrales Bild von der EU und 25 Prozent ein negatives – Österreich liegt somit unter dem EU-Schnitt der positiven Meinungen, der 47 Prozent beträgt.[22] Österreich befindet sich auch unter dem EU-Durchschnitt der positiven Meinungen, wenn es um die allgemeine Wahrnehmung der EU-Mitgliedschaft geht. So sind 41 Prozent der Österreicher:innen der Ansicht, dass die EU-Mitgliedschaft eine „gute Sache“ ist, 37 Prozent betrachten diese neutral, während 21 Prozent diese als schlecht bewerten. EU-weit können immerhin 60 Prozent der Befragten der EU-Mitgliedschaft Vorteile abgewinnen, 12 Prozent hingegen nicht.[23] Die Frage nach den Vorteilen durch die EU-Mitgliedschaft beantworten 56 Prozent der Österreicher:innen positiv und 39 Prozent negativ, während im EU-Schnitt 71 Prozent Vorteile sehen und 23 Prozent nicht.[24] Rund die Hälfte der Österreicher:innen fühlt sich mit der EU verbunden und immerhin 72 Prozent der Menschen in Österreich empfinden sich als Bürger:innen der EU. Beide Werte entsprechen dem EU-Durchschnitt.[25]

Wir können die Zeit nicht mehr zurückdrehen, aber wir würden das positive Narrativ auch 30 Jahre danach umso mehr brauchen, auch angesichts der populistischen Strömungen, die der EU schaden.

Den 30. Geburtstag der Volksabstimmung am 12. Juni sollte man zum Anlass nehmen, sich daran zu erinnern, dass die Österreicher:innen ein bewusstes Zeichen der Zustimmung gesetzt haben und die Regierungskoalition ein gemeinsames positives Narrativ in Bezug auf die EU schuf. Damit bewies die Regierung, dass es in der Politik auch möglich ist, über Parteigrenzen hinweg, an einem Strang zu ziehen. Damals war die Welt noch nicht aus den Fugen geraten, es herrschte EU-Euphorie. Heute ist die Welt eine andere geworden, spätestens seit dem Ausbruch von COVID-19 im Jahr 2020. Der 24. Februar 2022 – der Überfall Russlands auf die Ukraine – markiert schließlich eine politische Zeitenwende. Diese politische Zeitenwende erfährt durch den 7. Oktober mit dem Angriff der Hamas auf Israel eine weitere tragische Dimension. Diese Ereignisse sind von globaler Bedeutung und führen zu einer nicht mehr übersehbaren und vor allem zu einer spürbaren Spaltung der Gesellschaft. Unter diesem Gesichtspunkt kommt dem „12. Juni 1994“ eine besondere Bedeutung zu. Wir können die Zeit nicht mehr zurückdrehen, aber wir würden das positive Narrativ auch 30 Jahre danach umso mehr brauchen, auch angesichts der populistischen Strömungen, die der EU schaden.

Der 12. Juni 1994 bewirkte auch, dass die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), bisher eine traditionelle „Europa-Partei“, mit ihrem Anti-EU-Kurs gescheitert war, sich seither aber kontinuierlich zum beinahe aggressiven EU-Gegner entwickelt hat. Anders Die Grünen, sie gelten als Europabefürworter.

Aus der Sicht der EU war Österreich als Mitglied willkommen, immerhin hatte man dadurch nicht nur die EU erweitert, sondern einen Netto-Zahler mehr.

Gerade im Wissen, dass die EU nicht nur Stärken besitzt, sondern auch Schwächen, müssen die Politiker:innen ehrlich zu den Bürger:innen sein – denn nur so kann man auch stark gegen den Populismus und gegen Fake News oder Verschwörungstheorien auftreten.

Europäer:innen müssen von der EU überzeugt sein. Ihr Bekenntnis zur EU gibt dieser die Kraft, ihren Weg in der sich neugestaltenden Weltordnung zu gehen und darin einen gewichtigen Platz einzunehmen.

Schließlich gilt auch heute mehr denn je wie bereits vor 30 Jahren: Besser gemeinsam als einsam.

[1] Herbert Vytiska, Österreichs Weg in die EU, in: Parlamentsdirektion (Hrsg.), Fundamente. Meilensteine der Republik. 25 Jahre Österreich in der Europäischen Union, Wien 2019, 62. Auch online abrufbar: https://www.parlament.gv.at/dokument/unterlagen/Publikation-zu-25-Jahre-Beitritt-Oesterreichs-zur-Europaeischen-Union.pdf (Zugriff: 17. März 2024).

[2] Zitiert in: Anita Ziegerhofer, Vom Rand ins Zentrum EUropas. Die Geschichte der Steiermark ab 1918, Graz 2020, 70.

[3] Michael Gehler, Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der allliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, Band 2, Innsbruck 2005, 539.

[4] Ebenda, 540ff.

[5] Vytiska, Österreichs Weg in die EU, 62.

[6] Michael Gehler, Vom Marshall-Plan bis zur EU. Österreich und die europäische Integration von 1945 bis heute, Innsbruck 2006, 189-190.

[7] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/europa-aktuell/25-jahre-volksabstimmung-uber-den-eu-beitritt-oesterreichs.html (Zugriff: 17. März 2024) sowie Vytiska, Österreichs Weg in die EU, 68.

[8] Vytiska, Österreichs Weg in die EU, 71.

[9] Ebenda, 72.

[10] Heinz Fischer/Christoph Grabenwarter/Josef Pauser (Hrsg.), Texte zur Österreichischen Verfassungsgeschichte. Von der Verfassung 1848 bis zur heutigen Bundesverfassung, Wien 2023, 439. Es sollte sich um die am weitest reichende Verfassungsänderung in der Geschichte der Zweiten Republik handeln.

[11] Seit Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht spricht man von der Europäischen Union (EU, zuvor von der Europäischen Gemeinschaft (EG).

[12] https://www.bmi.gv.at/410/Ergebnisse_bisheriger_Volksabstimmungen.aspx#pk_02 (Zugriff: 17. März 2024).

[13] Bundeskanzleramt (Hrsg.), Österreich in Europa. Dokumente aus dem Staatsarchiv, die Geschichte schrieben, Wien 2023, 164-167.

[14] https://orf.at/stories/3126368/ (Zugriff: 17. März 2024).

ps2id id=’15’ target=”/][15] Ebenda.

[16] Paul Schmidt, 25 Jahre EU-Volksabstimmung „Besser gemeinsam als einsam“, in: Der Standard, 12. Juni 2019: https://www.derstandard.at/story/2000104700053/25-jahre-eu-volksabstimmung-besser-gemeinsam-als-einsam (Zugriff: 17. März 2024).

[17] Siehe Gehler, Österreichs Außenpolitik, 791-792.

[18] Die öffentliche Meinung in der EU, Standard Eurobarometer 100, Erhebungszeitraum 23. Oktober bis 17. November 2023, 14: https://austria.representation.ec.europa.eu/system/files/2023-12/Standard%20Eurobarometer%20100%20%E2%80%93%20Autumn%202023%20%E2%80%93%20Public%20Opinion%20in%20the%20European%20Union%20-%20Austria.pdf.

[19] ÖGfE-Umfrage zum Meinungsbild der Österreicher:innen zur EU-Mitgliedschaft und den Europawahlen 2024, Veröffentlichung am 4. April 2024, Erhebungszeitraum 19. bis 25. März 2024: https://www.oegfe.at/umfragen/zwei_monate_vor_europawahlen/.

[20] Ebenda.

[21] Ebenda.

[22] Spezial-Eurobarometer 101.1, EP 2024 Frühjahrs-Umfrage (EB045EP), Länderergebnisse Österreich, Erhebungszeitraum 7. Februar bis 3. März 2024, 42: https://europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/3272.

[23] Ebenda, 43.

[24] Ebenda, 45.

[25] Die öffentliche Meinung in der EU, Standard Eurobarometer 100, 13: https://austria.representation.ec.europa.eu/system/files/2023-12/Standard%20Eurobarometer%20100%20%E2%80%93%20Autumn%202023%20%E2%80%93%20Public%20Opinion%20in%20the%20European%20Union%20-%20Austria.pdf

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die die Autorin arbeitet, überein.

Schlagwörter

kurze Geschichte des österreichischen Integrationsprozesses, EU-Volksabstimmung 12. Juni 1994, EU-Beitritt

Zitation

Ziegerhofer, A. (2024). 30 Jahre Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs. Wien. ÖGfE Policy Brief, 06’2024

Anita Ziegerhofer

Univ.-Prof. Mag. Dr. Anita Ziegerhofer ist Universitätsprofessorin für Rechtsgeschichte, Leiterin des Instituts für Rechtswissenschaftliche Grundlagen, Leiterin des Fachbereichs Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz.

Bild c/o Uni Graz/Radlinger