Gastkommentar Kurier

Die große Aufgeregtheit – wie uns die EU-Debatte schadet (Gastkommentar Kurier)

Von Paul Schmidt

Die heimische Gemengelage ist im Hinblick auf die Europawahlen im Juni nächsten Jahres kein gutes Omen.

Die EU-Stimmungslage in Österreich ist ambivalent. Zwar steht eine überwiegende Mehrheit der Menschen hierzulande hinter der EU-Mitgliedschaft, ob bei der Bewältigung der anstehenden Herausforderungen aber nun mehr gemeinsames, europäisches oder mehr nationalstaatliches Handeln der richtige Weg ist, darüber scheiden sich die Geister. Wie kommt es zu diesem scheinbaren Widerspruch?

Zwei Drittel waren es vor knapp dreißig Jahren, die sich für einen Beitritt zur Europäischen Union entschieden haben, und zwei Drittel sind es auch jetzt, welche die Mitgliedschaft begrüßen. Während im Juni 1994 ein Drittel gegen den Beitritt stimmte, will aktuell etwas mehr als ein Viertel aus der EU austreten. Dieses Verhältnis von EU-Befürwortern und Skeptikern hält sich im Großen und Ganzen seit drei Jahrzehnten – mit mehr oder weniger großen Schwankungen.

Unzufriedenheit

Aktuelle Krisen befördern dabei die Kritik, so auch heute: Krieg, Teuerung und die hartnäckig hohe Inflation machen vielen zu schaffen und befördern Unzufriedenheit, Sorgen und Misstrauen gegenüber der Politik. Die Zahl der Austrittsbefürworter ist in den letzten vier Jahren deutlich angestiegen.

Wie darauf reagieren? In einer Zeit, in der die geopolitische Landschaft neu gezeichnet wird und problematische Abhängigkeiten in den Vordergrund rücken, sollte eigentlich der Ruf nach einer EU, die gemeinsam auftritt und handelt, stärker zu hören sein. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl jener, die befürworten, dass die einzelnen Nationalstaaten in der EU öfter für sich selbst entscheiden, ist in Österreich im Lauf des vergangenen Jahres größer geworden.

Polarisierender Diskurs

Diese Stimmung ist nicht zuletzt ein Resultat eines polarisierenden politischen Diskurses. Dem Mehrwert des gemeinsamen Europas wird zwar gerne in Sonntagsreden pauschal das Wort geredet, gleichzeitig wird aber mit exponierten nationalstaatlichen Ansagen und viel Emotion gegen „die EU“ gewettert. Letzteres scheint gerade auf besonders fruchtbaren Boden zu fallen. Dazu kommt, dass traditionell europaskeptische Stimmen sich in immer schärferer Weise in Frontalopposition gegenüber der EU üben.

Zukunftsthemen

Die Gemengelage ist riskant und kann uns angesichts der gewaltigen Herausforderungen, vor denen Österreich und Europa stehen, nur schaden. Sie ist auch im Hinblick auf die Europawahlen im Juni nächsten Jahres kein gutes Omen. Wollen wir wirklich, dass die Diskussion über die großen Zukunftsthemen – wie können wir uns global behaupten, wie dem Klimawandel begegnen, wie den wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand bewahren und ausbauen, wie unsere Sicherheit garantieren – im dissonanten Chor der Aufgeregtheit untergeht?

Zielführender wäre wohl, wieder zu konkreter Problemlösung zurückzukehren, mit Argumenten und im direkten Gespräch zu überzeugen. Weniger Angstschüren und Ablehnung, vielmehr konstruktives Miteinander sollte dabei die Richtschnur sein.

(Paul Schmidt, 1.10.2023)